Grenzlandlager auf der Nordseeinsel Amrum

Die Grenzlandjugend Schleswig-Holstein wurde nach dem Krieg mit dem Ziel gegründet, die deutsche Jugend im dänischen Nordschleswig bei der Erhaltung der deutschen Kultur und Sprache aktiv zu unterstützen und gemeinsam mit der Jugend des deutschen Südschleswig das deutsche Erbe zu bewahren.

Es war ferner das Ziel, möglichst viele deutsche Volksgruppen, meist aus den deutschsprachigen Grenzgebieten und Heimatvertriebene in einem Grenzlandlager auf der Nordseeinsel Amrum zusammenzuführen. Zunächst war die Sudetendeutsche Jugend 1952 eingeladen daran teilzunehmen. Als erstes folgte eine SdJ-Gruppe aus NRW dieser Einladung.

In den folgenden Jahren stießen deutsche Jugendliche aus Nord- und Südtirol, der SdJ-Österreich, dem Saarland, Eupen-Malmedy dazu. Hier lernten sich die verschiedenen deutschen Volksgruppen kennen, sangen und tanzten gemeinsam die Lieder und Tänze der unterschiedlichen deutschsprachigen Landschaften, diskutierten die Probleme, der eine Minderheit in einem fremden Staat ausgesetzt ist.

Baden im Meer und Sport und Spiel am Strand festigten diese Gemeinschaft junger Deutscher.

Bis 1965 führte die SdJ-Bundesgruppe auf Amrum ihre Bundeslager für alle Altersstufen durch. Die Zelte standen direkt am Strand hinter der ersten hohen Düne in herrlicher Lage.
In drei parallelen Lagern für die Jungenschaft, die Mädelgruppen und die Jugendkreise trafen sich hier die SdJ-ler aus allen Bundesländern Deutschlands und Österreichs.




Wir sind durch Deutschland gefahren vom Meer bis zum Alpenschnee . . .

Die ersten Lager

Für die SdJ beginnt die Geschichte des Grenzlandlagers Amrum mit dem SdJ-Winterlager 1951/52 (Weihnachten bis Neujahr) im Josefstal am Schliersee.
Unter die SdJ-ler aus verschiedenen Bundesländern hatte sich auch eine Abordnung aus dem hohen Norden, aus Süd- und Nordschleswig, gemischt.
Meine Schwester Traute und ich bildeten die Delegation der SdJ Nordrhein-Westfalen.

Es wäre eine eigene Geschichte wert, wollte man die Abenteuer der Schnee- und Schi ungewohnten Nordlichter schildern. Sie reichen von Abfahrten auf Steilhängen über Schuß und Sturz bis zum Schi- und Beinbruch besonders Mutiger.

Hier am Alpenrand wurde erstmals ein Kontakt mit der Jugend aus dem Norden Deutschlands und aus dem nach dem 1. Weltkrieg an Dänemark abgetretenen Gebiet Nord-Schleswig hergestellt.
Die Jugend dieser Nordregion hatte sich in der Deutschen Grenzlandjugend einen gemeinsamen Dachverband geschaffen. Arno Steffen, deren Leiter, lud uns beim Winterlager in Josefstal ein, am Sommerlager der Grenzlandjugend auf der Nordseeinsel Amrum teilzunehmen. Ein verlockendes Angebot, besonders für uns aus dem Kohlenpott.

So fuhren denn im Juli 1952 10 Jungen und Mädel aus dem Ruhrgebiet an die Nordseeküste Deutschlands, gespannt und voller Erwartungen.
In Bongsiel nahm uns ein kleines Fährboot auf. Für uns Landratten ein mulmiges Gefühl bei Wind und Wellen über das offene Meer zu fahren. Von der Anlegestelle Wittdün auf Amrum brachte uns ein klappriger Bus ans andere Ende der Insel, nach Norddorf. Dann stapften wir mit Sack und Pack eine halbe Stunde durch den Sand über die Dünen nach Batje Stig (Bootsteg).
Das Zeltplatzgelände lag in unmittelbarer Nähe des Quermarken-Feuers, ein Leuchtfeuer für die Schifffahrt.
Heute in den Dünen, früher direkt am Strand gelegen, war hier bis zum 2. Weltkrieg eine Rettungsstation zur Rettung Schiffbrüchiger.
Das feste Haus diente als Küche und als Aufenthaltsraum bei Schlechtwetter. Körperpflege gab's an Holzrinnen im Freien.
Die Zelte standen im weiten Rund hinter der ersten großen Außendüne. Es gehörte zu den Kunststücken der Lagerleitung, die olivgrünen Ami-Zelte bei Sturm vor dem Wegfliegen zu bewahren.

Der Strand, der Kniepsand, weit und brettleben, war unsere Spielwiese. Hier gab es Faust- und Fußballturniere, viel Sport, Gymnastik und Volkstanz.

Das Baden im Meer, meist mit höheren Wellen, war oft eine Härte-Probe . Das Wasser, manchmal 14° C warm, war nur durch die Reibungswärme der Wellen erträglich.

Reichhaltig war unser Lagerprogramm. Nach der gemeinsamen Morgenfeier gab es Arbeitsgemeinschaften, z.B. für Volkstanz, Judo und Basteln. Gesungen wurden die Lieder aus d en Herkunftsgebieten der Teilnehmer. So lernten wir Shanties und die Schleswiger Jodeln.
Im Programm: Wanderungen durchs Watt nach Föhr und ins Vogelschutzgebiet, Bootsfahrten um die Insel und zu den Halligen und nach Helgoland sowie ausgedehnte und spannende Geländespiele.

Auch die Mitarbeit in der Küche, Kartoffel schälen, Gemüse schneiden, Tisch decken und der Abwasch waren für jeden Lagerteilnehmer Pflichtprogramm.

Und nicht zuletzt der Lagerwettbewerb aller Zeltgemeinschaften. Hier zählte Pünktlichkeit, Disziplin und Ordnung im Zelt während der gesamten Lagerzeit. Viel Kunst wurde aufgeboten für die schönste äußere Zeltgestaltung, viel Zeit für das Einlernen des geforderten Pflicht- und Kürliedes. Eine strenge Jury fällte dann das Urteil.
Durch diese Arbeitsweise bildete sich sehr schnell und ohne strenge Anweisungen eine disziplinierte, harmonische Lagergemeinschaft.

Doch zurück zur Idee des Grenzlandlagers. Hier sollten Jungen und Mädchen des deutschen Sprachraumes und der Vertreibungsgebiete zusammengeführt werden. Jede Gruppe hatte die Gelegenheit, die Probleme und die Situation in ihrer jeweiligen Heimat darzustellen.
Schon dieses erste Lager von 1952, das als erste eine SdJ Gruppe aus Nordrhein-Westfalen besuchte, war international besetzt. Jugendliche aus Nord- (Dänemark) und Südschleswig, dem Saarland, damals noch nicht wieder Teil der Bundesrepublik Deutschland, und wir Sudetendeutsche wurden bewusst auf die verschiedenen Zelte aufgeteilt und damit die Landsmannschaften gemischt.
Der Lagerleiter war Arno Steffen, von Beruf Rechtsanwalt und gleichzeitig der Leiter der Grenzlandjugend Südschleswigs.

Aus diesem ersten Besuch der SdJ Nordrhein-Westfalen entwickelte sich die feste Institution Grenzland-Lager Amrum, das Gegenstück zu Gaisthal und dem Schilager Untere Wilhelmine. Aus meiner Kenntnis fand das letzte Lager auf Amrum 1965 statt. Die Idee strahlte aus und die Zeltlager wurden größer.
Mehrere Jahre fanden gleichzeitig Jungenschafts- und Mädellager bis 14 Jahre und ein gemischtes Lager für Jugendliche statt.
Ebenso wurden viele eigene SdJ/DJO-Lager mit Walli Richter, Erich Kukuk, Kurt Borchert aus Hamburg und mir als Lagerleiter organisiert.
Nicht zu vergessen: 1959 das Bundesjungenschaftslager unter der Leitung von Klaus Großschmidt.

Festgehalten sei an dieser Stelle auch, dass Amrum zweimal Zielpunkt der Deutschland-Fahrt der SdJ war. Erstmals 1953 startete am Heiligenhof unter der Leitung von Erich Kukuk und Sigrid Egerter eine Fahrrad-Fernfahrt quer durch Deutschland. Unterwegs in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen stießen weitere SdJ-ler dazu. So kamen in Amrum nach 14 Tagen Fahrt 30 Radler an, um sich eine Woche im Lager von den Strapazen zu erholen, am Lagergeschehen teilzunehmen und Kraft für die Rückfahrt zu sammeln.

Durch alle Jahre blieb der Grundgedanke des Grenzlandlagers erhalten; die Jugend aus den Grenzgebieten Deutschlands zusammenzuführen. Manchmal gab es schon Sprachprobleme, wenn z.B. ein Südtiroler einem Schleswiger etwas erklären wollte. Die Jugend aus Nord- und Südschleswig, Eupen-Malmedy (deutschsprachiger Teil Belgiens), Saarland, Nord- und Südtirol und wir Sudetendeutsche aus unseren jetzigen Wohngebieten in Österreich und den verschiedenen Bundesländern Deutschlands lernten dabei viel voneinander und miteinander.

Eine Geschichte blieb mir als Lagerleiter lebhaft in Erinnerung.
Ein Saarländer wollte sich aus Liebeskummer wegen einer blonden, nordischen Schönheit ertränken. Er schwamm bei ablaufenden Wasser (Ebbe) hinaus ins Meer. Es dauerte länger, bis wir es bemerkten, und einen Rettungsschwimmer mit Wärmeanzug und Brett losschickten.
Nach mehr als 1 1/2 Stunden waren beide unterkühlt wieder an Land und im Bett der Krankenstation.
Der gerufene Arzt stellte nur 1 Flasche 54% Pott-Rum auf den Tisch und gab mir die Anweisung: "Rum warm machen und leer trinken lassen." Das wirkte prompt, keiner hatte danach einen Schnupfen!

Das Erlebnis dieses und späterer Grenzlandlager hat eine feste Gemeinschaft geformt, die auch weit über die Lagerzeit hinaus in vielfältigen Verbindungen fort wirkte.

Wer heutzutage Batje Stig sucht, findet nicht mehr viel vom einstigen Zeltlagergelände vor.
Dort erstreckt sich heute am Kniepsand Amrums ein FKK-Strand, der Dünengürtel ist Naturschutzgebiet und nicht weit weg strandete der Öltanker "Pallas" und wartet auf die Einsandung im Spiel der Gezeiten.

"Wir sind durch Deutschland gefahren vom Meer bis zum Alpenschnee" war unser Erkennungslied. Ich bin sicher, dass dieses vielen früheren SdJ-lern noch heute in den Ohren klingt, wenn sie sich an Amrum erinnern.



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