Singende Botschafter ihrer Heimat

Die Sudetendeutsche Zeitung veröffentlichte im August 2009 einen Rückblick auf


Die Norwegenfahrt der Südmährischen Sing- und Spielschar 1961

Das Gedenken an den Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 in der vergangenen Woche rief in mir wieder die Erinnerung an eine erlebnisreiche Volkstumsfahrt der Südmährischen Sing- und Spielschar nach Norwegen wach an der ich teilnehmen durfte.

In jenen Jahren fuhren unsere sudetendeutschen Spielscharen immer wieder in Länder Westeuropas, Amerikas und Afrikas.

Diese Spielscharfahrten waren keine für die Teilnehmer preiswerten Urlaubsreisen. Die Gruppen fuhren mit dem Auftrag ins Ausland, vor und nach ihren Veranstaltungen von den Sudetendeutschen, ihrer Heimat und ihrem Vertreibungsschicksal zu berichten. Die Teilnehmer mußten oft lange sparen, denn ihre Instrumente, ihre Trachten und einen großen Teil der Reise mußten sie selbst bezahlen.

Für die Südmährer war es nicht die erste Volkstumsfahrt: Ihre erste hatte sie schon in den fünfziger Jahren nach Finnland geführt. 1961 fuhren sie nach Süd- und Mittelnorwegen.

Seit der Ankunft war die Reise voller großartiger Erlebnisse und schöner Erfolge. Nach dem ersten Volkstumsabend in der Hafenstadt Stavanger begleitete eine begeisterte Menge von hunderten Norwegern die Sing- und Spielschar zum Hafen, von wo sie in der Nacht entlang der Küste mit dem Postschiff zum nächsten Ort fuhr. Wie eine Perlenkette reihte sich Auftritt an Auftritt in mehreren Orten entlang der Küste.

Die Südmährische Sing- und Spielschar war zu Besuch bei ihrer Partnerorganisation, der norwegischen Landjugend. Und an jedem Abend feierte sie mit den örtlichen Landjugendgruppen und oft mit dem ganzen Ort. Diese Abende! Ach ja, diese Abende! Noch um Mitternacht saßen wir in den hellen nordischen Nächten an schön gedeckten Tischen auf Waldwiesen und mußten unzählige cups of coffee trinken -- das Getränk der Norweger bei solchen Festen, denn Alkohol gab es keinen.
Wort- und gestenreich führten wir lange Gespräche mit den Gastgebern, obwohl wir die andere Sprache nicht beherrschten. Bei Unklarheiten tanzten wir einfach mit den Norwegern. Dabei wirbelten uns unsere Gastgeber mit ihren schnellen Volkstänzen ganz schön herum. Und vom Kleinkind bis zum Großvater tanzten alle mit.

"Wie die hohen Sterne kreisen, ewig voller Harmonie, sollen unsres Lebens Weisen unverwirret sein wie sie . . . " sangen wir oft beim Schlußkreis, wenn die Sonne aus der halbdämmrigen Nacht wieder aufging. Und unsere neuen Freunde standen mit im Kreis und hielten unsere Hände und verstanden das Lied, ohne die Worte zu verstehen.
Manchmal fuhren wir an Deck früher Postschiffe dann gleich wieder zum nächsten Tagesziel.

Doch wir haben in den ersten Tagen nicht nur Zuneigung und freundliche Begegnungen erlebt. Ich denke da an einen Spaziergang über den Fischmarkt in Bergen. Als wir an unseren Trachten und an unserer Sprache als Deutsche erkannt wurden, wurden wir ein paarmal recht unfreundlich angesprochen.
Und als ein Mädchen dringend eine Behandlung beim Zahnarzt benötigte, hat der erste nicht behandelt und hat sie zu einem Kollegen weitergeschickt mit der von der Dolmetscherin übersetzten Erklärung: "Deutsche kann ich nicht behandeln, meine ganze Familie ist in einem Konzentrationslager umgekommen. Das schmerzt noch zu sehr."

Norwegen war 1940 von der Wehrmacht besetzt worden. Damals erlebten die Norweger die Deutschen nicht als Freunde. Dieses Eis zu brechen war unser Auftrag.
Die Deutsche Gesellschaft für Europäische Friedensfragen unterstützte diese Volkstumsfahrten. Präsident dieser Gesellschaft war Wenzel Jaksch, der sozialdemokratische sudetendeutsche Bundestagsabgeordnete.

Wir hatten uns auf diesen Teil unserer Reise gut vorbereitet. Vor jedem Auftritt wurden Informationsblätter in der Landessprache verteilt, und Pressesprecher Reinfried Vogler hatte viele Gespräche mit Journalisten.
So war unser Kommen in den einzelnen Orten schon vorher mit entsprechenden Informationen in der Presse angekündigt worden.

Und dann der 13. August 1961 !
Nach einer Tageswanderung im Hochland fuhren wir von Lom nach Oslo, über die endlos langen einsamen Straßen Mittelnorwegens. Von einem kleinen, einsamen Haus kam uns eine aufgeregte Frau entgegengelaufen und bedeutete uns, einzutreten. Dort konnten wir Rundfunk hören und erfuhren von einem nur leise hörbaren deutschen Sender vom Bau der Mauer in Berlin. Bedrückt drängten wir uns in der kleinen Stube zusammen und diskutierten über das Gehörte.

Die teils feindselige Stimmung in einzelnen Orten schlug plötzlich um: Die Norweger begegneten uns als in der Not verbundene Freunde. Wir wurden immer wieder in fremde Häuser eingeladen und bewirtet. Dort konnten wir die Nachrichten aus Deutschland im Radio hören.

Als wir nach Oslo kamen, erwarteten viele Menschen unseren Bus. Fremde schüttelten uns die Hände -- eine Welle der Freundschaft schlug uns entgegen. Wir wurden zu einem Begrüßungsfest in das Rathaus geführt, und dort überreichte uns jemand eine norwegische Zeitung.
Auf der ersten Seite war die Südmährische Sing- und Spielschar abgebildet unter der Überschrift Die singenden Botschafter ihrer Heimat.

Der Titel Die singenden Botschafter ihrer Heimat blieb unseren sudetendeutschen Spielscharen bis heute. Noch viele Volkstumsfahrten führten sie als Eisbrecher vor allem in jene Länder, die vor 1945 von Deutschen besetzt gewesen waren. Es war am Anfang nicht immer einfach, das Eis der Ablehnung zu brechen, Freundschaften aufzubauen.

Die Südmährische Sing- und Spielschar, die Schönhengster Sing- und Spielschar, der Iglauer Singkreis, die Spielscharen der Böhmerwäldler und der Egerländer, der Heidelberger Spielkreis, die Adalbert-Stifter-Gruppe Darmstadt -- viele beteiligten sich an dem Programm und fuhren nach Finnland, nach Schweden, nach Nordschleswig (heute Dänemark), in die Bretagne, ins Baskenland, nach England, Schottland und seit den siebziger Jahren auch nach Kanada, Brasilien und Südafrika.
Ein Film beschreibt dieses Programm; er heißt Brücken über den Ozean.

Noch einmal erfüllten die sudetendeutschen Spielscharen den Auftrag, Brücke zu sein.
Seit 1990 fahren sie immer wieder in unsere Heimat, um dort das Eis zu brechen und Freundschaften mit deutschen und tschechischen Gruppen aufzubauen.

Sie waren und sind die singenden Botschafter unserer Heimat.

        Walli Richter



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