Am Morgen des 9. Juni 1945 hingen überall in Komotau grellrote Plakate, nur in tschechischer Sprache mit der
Aufforderung aus, dass sich alle Männer von 13 bis 65 Jahre mit 3 Tage Verpflegung und einer Wolldecke um 10.00
Uhr am Jahnspielplatz zu melden haben. Für Nichterscheinen wurde die Todesstrafe angedroht.
Gleichzeitig wurden die in Komotau wohnenden oder anwesenden Tschechen aufgefordert, sich als Aktivisten
und Zuschauer ebenfalls an der Turnhalle ein zu finden und sich an den vorgesehenen Aktionen zu beteiligen.
Viele taten es dann auch. Heute sagen viele der Beteiligten, sie wussten nichts davon.
Die Bewohner der Stadt gerieten in panische Angst, hatten doch Gerüchte von Grausamkeiten in den
Nachbarstädten Saaz und Postelberg berichtet. So packte auch ich meinen Rucksack. Erst 14 Jahre alt, hatte ich
keine Vorstellung, wozu die Bestie Mensch fähig ist. Mutter segnete mich nichts Gutes ahnend mit drei
Kreuzzeichen.
Ich ging frühzeitig los, denn ich sollte zunächst im Garten die Hühner füttern und dann zum Jahnspielplatz
gehen. Ich wanderte erstmal in den Garten und fütterte. Während dessen zogen lärmend bewaffnete Tschechen auf
der Strasse vorbei, die nach Deutschen suchten, unseren Garten aber ausließen.
Ich überlegte, sollte ich mich hier im Garten verstecken oder zum Jahnspielplatz gehen? Ich entschied mich zu
gehen, ein Entschluss mit schweren Folgen. Aus allen Richtungen strömten die Komotauer Männer zwischen 13 und 65
Jahren zum Sammelplatz, meist Buben und Alte. Die wehrfähigen Männer waren noch beim Militär bzw. in der
Gefangenschaft.
Die große Sportstätte war umstellt von Bewaffneten in Zivil oder in einer Fantasieuniform. Auf der
Turnhalle und an den Ecken waren Maschinengewehre postiert.
Die in Komotau wohnenden Tschechen waren aufgerufen, an diesem Schauspiel teilzunehmen. Es war somit eine öffentliche Veranstaltung, sodass jeder Tscheche sehr wohl wissen konnte, was den deutschen Mitbürgern angetan wurde!
Die Ankömmlinge wurden von prügelnden tschechischen Frauen und Männern empfangen. Jeder wurde gefilzt und
alles als brauchbar Erscheinende vom Empfangskomitee weggenommen.
Es waren schon Tausende versammelt, es sollen 8000 gewesen sein.
Massacker am Jahnspielplatz (Linolschnitt: Karl Heinz Wagner)
Vor unser Aller Augen wurde ein stark blutender Mann mit einem großen Hitlerbild in beiden Händen von einer Schar Knüppel schwingender Zivilisten hergetrieben. Immer wieder musste er das Bild küssen und Wir danken unserm Führer herausschreien. Schließlich brach er zusammen und blieb leblos liegen.
Doch das war erst das Vorspiel für die nächsten Stunden. Alle Achttausend mussten in langen Einzelreihen
antreten und sich die hasserfüllte Ansprache des verantwortlichen Kommandanten, Stabskapitän Karel Prasil, in
tschechisch, das die wenigsten von uns verstanden, anhören. Immer wieder kamen die deutschen Worte Rache
und Vergeltung darin vor.
Dann die Aufforderung, an alle Mitglieder der SS vor zu treten. Da keiner vortrat, mussten wir alle den
Oberkörper entblößen und die Arme heben. Fiel ein Arm, setzte es Prügel. Gesucht wurde von den die Reihen
abschreitenden Bestien nach dem Kennzeichen der SS: das im Oberarm eintätowierte Blutgruppenkennzeichen. Mit den
etwa 20 Betroffenen, der Jüngste war 17 Jahre, (wie Günter Grass, der SS-Mann) geschah vor unser aller Augen
Unbeschreibliches. Eine grölende Horde von Zivilisten, Gardisten und auch Soldaten stürzten sich auf diese
Opfer, schlugen, traten, prügelten oder stachen auf sie ein. Brach das blutende Opfer zusammen, holte den
Gequälten ein Kübel kalten Wassers für einen Augenblick ins Leben zurück. Die Bestie Mensch ließ erst von ihm
ab, als alles Leben aus dem Körper gewichen war.
Dieses Massaker lief 2 Stunden vor den Augen und Ohren der 8000 Deutschen ab. Die Todesschreie der
Gemarterten blieben mir noch viele Jahre gegenwärtig.
Dann kam das Kommando zum Abmarsch. In Fünferreihen formierte sich eine endlose Kolonne. Wir zogen vorbei an dem Leichenberg der zu Tode Gemarterten. Mit dem Kommando Augen links mussten wir den Anblick der verstümmelten Leiber ertragen.
Der Marsch ging den Weinberg hinauf, am Gymnasium und am Alaunsee vorbei, durch Udwitz und Görkau, vorbei
an Schloss Eisenberg. Alle 15 Meter ging ein Bewaffneter. Jede Flucht schien aussichtslos. Immer wieder wurde
geschossen und Laufschritt befohlen. Die Todesangst war unser Begleiter. Wer nicht mithalten konnte, erfuhr eine
Sonderbehandlung, durch prügeln, wurde erschossen oder blieb tot oder halbtot im Strassengraben liegen. Ich
selbst war durch die wöchentlichen Wanderungen nach Neuhaus und Sport in der Schule und der HJ körperlich gut
in Form. Aber das grausame Geschehen um mich herum ließ oft meine Knie vor Angst zittern.
Schlechter erging es vielen Älteren, die solch einen Marsch noch nie oder schon lange nicht mehr bewältigt
hatten, zurück- und liegen blieben. Nach Schätzungen überlebten 75 Komotauer diesen Todesmarsch nicht.
Der Todesmarsch der männlichen Einwohner Komotaus führte etwa 25 Kilometer hinauf ins hohe Erzgebirge nach
Gebirgsneudorf an der sächsischen Grenze. Die Spitze des Zuges hatte die Grenze nach Deutschland in
Deutschneudorf schon überschritten, als sie gestoppt wurde.
Russische Offiziere lehnten den beabsichtigten Abschub (ODSUN) in die sowjetisch besetzte Zone (SBZ) ab.
War es die Absicht der Tschechen, uns an die Russen für die Arbeitslager in Sibirien zu übergeben? Viele
von uns waren und sind bis heute dieser Meinung.
Diese Verhandlungen mit den Russen und die Ablehnung der Übernahme der Komotauer Deutschen bedeutete für uns, dass wir 3 Tage auf der blanken Strasse in Gebirgsneudorf ohne essen und trinken unter strenger Bewachung liegen blieben. Und im Erzgebirge ist es auf 800m Seehöhe zu dieser Jahreszeit noch sehr kalt!
Dann nach 3 Tagen kam wieder das Kommando zum Abmarsch. Wir alle hofften zurück nach Komotau. Es ging aber talwärts durch Georgental nach Maltheuern bei Brüx. Dort hatte das Deutsche Reich ab 1939 das größte und modernste Hydrierwerk -- die Hermann - Göring - Werke -- im Eiltempo erbaut. Hier wurden ab 1941 aus der hochwertigen Braunkohle des Brüxer Beckens bis in die letzten Kriegstage Benzin und andere kriegswichtige Petroprodukte produziert. Zahlreiche Bombenangriffe der Engländer und Amerikaner hatten immer wieder Teilanlagen zerstört, konnten aber nie die Produktion völlig lahm legen.
Hier standen rund um das Werk riesige Kriegsgefangenenlager für eine Aufnahme der neuen deutschen
Arbeitssklaven bereit. Eines davon, das Lager Nr. 27 nahm uns Komotauer auf. Ein Barackenlager, umgeben von
einem 3 Meter hohen Stacheldrahtzaun mit hohen Wachtürmen an jeder Ecke, in der Mitte ein großer Appellplatz,
der Ort vieler grausamer Geschehnisse. Schmutzige, verwanzte Strohsäcke auf Doppelstockpritschen, ein Tisch,
einige Hocker, ein Kanonenofen und eine baumelnde Glühlampe waren für 30 Männer oft für Jahre die Bleibe.
Essen gab es zunächst gar nichts, erst nach Tagen eine Wassersuppe mit Dörrgemüse. Dann gab es für Wochen,
auch im Lager 17/18 eine Wassersuppe mit Graupen.
Ich habe später 40 Jahre lang nie wieder Graupensuppe gegessen!
Wir Männer waren jetzt Arbeitssklaven, die in Arbeitskolonnen eingeteilt, das durch Bomben stark zerstörte
Herrmann - Göring - Werk, nunmehr nach Stalin benannt, aufräumen sollten. Doch die Komotauer Männer waren nicht
die einzigen Zwangsarbeiter im Hydrierwerk. Deutsche Kriegsgefangene, Kinder und Männer aus ganz Westböhmen,
nach dem Massaker auf der Aussiger Elbebrücke viele Aussiger, darunter auch viele Frauen, bevölkerten mehrere
dieser KZ - Lager.
Wir alle mussten im Werk arbeiten, buchstäblich für Wasser und einen Kanten Brot. Der Nachtisch
bestand häufig aus Prügeln der Aufseher. Jeden Morgen marschierten wir in Kolonnen, schwer bewacht wie
Schwerverbrecher, zu unserer Arbeitsstelle im Werk. Eine Stunde hin, eine Stunde zurück.
Am Lagertor hieß es Mütze abnehmen und Augen rechts zur Lagerwache. Wer es nicht tat, bekam Prügel.
An unserem Lagertor prangte in großen Lettern: PRAVDA VITEZI -- DIE WAHRHEIT SIEGT! Welche Wahrheit fragte ich
mich oft.
Nach zwei Wochen wurden wir Männer von 12 bis 16 Jahren in das Jugendlager Nr.17/18 verlegt. Dies war ebenfalls ein nach deutschem Standard gebautes Kriegsgefangenenlager: Baracke der Lagerleitung mit Appellplatz, Küche und Esssaal, Krankenbaracke, Waschbaracken mit langen Zinkwannen, Duschen mit kalten Wasser, Latrinen und Entlausungskammern und schließlich die Unterkünfte,lange Baracken mit Schlafsälen für 20 bis 30 Gefangene mit Zwei- und Dreistockbetten. Das ganze Lager war umgeben mit einem drei Meter hohen Stacheldrahtzaun mit Wachtürmen an den Ecken und einem Lagertor mit Wachstation.
Dort waren wir etwa 800 Buben, die Jüngsten 12 Jahre. Hier herrschten die gleichen menschenunwürdigen Bedingungen, wie im Lager 27. Die Wachmannschaften, meist üble, brutale Schläger, schwangen beim geringsten Anlass ihre siebenschwänzige Peitsche (Nageiga), in die Lederriemen waren Stahlkugeln eingeflochten.
Die jugendliche Haarpracht wich der Glatze. Mittlerweile hatte ich auch das Wenige das ich von zuhause
mitbrachte, weggenommen oder gestohlen bekommen, Rucksack, Schlafsack, Essgeschirr, Decke. Die Straßenkleidung
und die Schuhe mussten wir gegen verlauste Kriegsgefangenen - Uniformen, die Schuhe gegen Holzschuhe mit
Fußlappen tauschen. Jeder erhielt eine KZ - Nr., die einzige Identifikation während der Lagerzeit. Jeder war
nunmehr eine namenlose Nummer.
Diese Stoffnummern mussten auf der Kleidung auf der linken Brustseite und am rechten Oberschenkel fest
angenäht sein. Meine KZ - Nr. war: TABOR 17/18-CL 485. Diese Nummer war beim Aufruf am morgendlichen Zählappell
mit dem tschechischen SDE ( = HIER) zu beantworten.
Meine KZ-Nummern von Lager 17/18 (oben) und Lager 27 (unten) in Maltheuern
Diese Appelle waren meist eine besondere Schikane. Vor allem abends mussten wir nach 10 bis 12 Stunden
Schwerarbeit und 2 Stunden Fußmarsch oft eine Stunde und länger um den Appellplatz marschieren und tschechische
Lieder, vor allem das über die schöne Stadt Kolin (Befehl: Pochodem chod spivad Koline ) oder deutsche
Soldatenlieder singen. Klappte es nicht, wurde länger marschiert. Wer nicht laut genug mitsang, bekam eine
Tracht Prügel.
Schikane war auch bei der abendlichen Stubenkontrolle angesagt. Waren die Kleider nicht ordentlich
geschichtet, das Essgeschirr nicht sauber und die Schuhe nicht sauber und ausgerichtet unter der Pritsche,
setzte es fünf bis 25 Stockhiebe mit dem Gummiknüppel auf den nackten Hintern.
Sehr bald war unser Denken und Handeln reduziert auf die Grundbedürfnisse des Überlebens und der Bewältigung der andauernden Todesangst, auf das Hoffen auf die baldige Freilassung oder auf bessere Lebensbedingungen.
Die Lagerleitung bestand aus dem Lagerleiter Schindelarsch, anzusprechen als PANE VELITEL und
mehreren üblen Gestalten als Wachpersonal.
Sie benutzten einige Deutsche als Handlanger, die als Kapo die besondere Aufgabe hatten, uns zu
schikanieren. Einer davon war ANTONIN Drexler, ein etwa 40 Jahre alter Deutscher. Er war ein
gefürchteter Vollstrecker der von den Wachmannschaften ausgedachten Schikanen. Er war es auch, der bei den
abendlichen Stubendurchgängen die Strafen, meist Stockhiebe, auszuführen hatte.
Besuche im Lager gab es nicht. Je nach Laune der Lagerwache durfte nur an Sonntagen am Tor unter Aufsicht des Postens die Mutter drei Minuten mit ihrem Sohn sprechen. So marschierte auch meine Mutter zusammen mit anderen Müttern Ende Juni die 25 Kilometer nach Maltheuern. Selbst dazu war eine Sondererlaubnis des örtlichen Narodni Vibor notwendig, Verkehrsmittel waren für Deutsche nicht erlaubt. Ich hatte Glück, meine Mutter konnte mich kurz sprechen und ein kleines Päckchen, das der Posten gefilzt hatte, übergeben. Ein Abschied unter Tränen -- es sollte 16 Monate dauern, bis ich sie wieder sah -- und dann ging sie wieder die 25 Kilometer zurück nach Komotau. Das waren unglaubliche Strapazen und seelische Belastungen, die die Mütter auf sich nahmen!
Eine frühere Arbeitskollegin meines Vaters, Frau Gura, wohnte in Brüx und arbeitete nach dem Kriege im Hydrierwerk als Bürokraft. Alle Deutschen, die eine offizielle Arbeitserlaubnis vom Werk hatten, trugen eine weiß - blaue Armbinde und durften sich zwischen Wohnort und Arbeitsplatz frei bewegen. Sie brachte mir ab und zu ein kleines Verpflegungspäckchen ans Lagertor. Dies half über das aller Ärgste hinweg.
Flohen Kameraden aus dem schwer bewachten Lager oder von der Arbeitsstelle, musste das gesamte Lager
antreten und stundenlang marschieren, oft die halbe Nacht hindurch. Wurden flüchtige Buben erwischt und
zurückgebracht, so lief vor unser aller Augen und Ohren eine grausame Abschreckung ab.
Mir blieb in grauenhafter Erinnerung, wie ein 16 - jähriger auf der Flucht aufgegriffen, ins Lager zurück
gebracht wurde. Alle Lagerinsassen mussten daraufhin nachts im Viereck antreten. Der Junge wurde in der Mitte
des Vierecks über eine leere Benzintonne als Resonanzboden gelegt und auch vom Lagerkommandanten solange mit
Peitschen und Kabeln auf ihn eingedroschen, bis seine fürchterlichen Schreie verstummten. Er starb am nächsten
Tag in der Krankenstube.
Diese Art der der Abschreckung wiederholte sich immer, wenn Flüchtige erwischt wurden.
Unser Tagesablauf begann mit dem Wecken durch Schläge auf Eisenplatten um 4 Uhr früh, Ausgabe einer
braunen Brühe als Kaffee, um 5 Uhr Zählappell. Danach erfolgte der Abmarsch unter strenger Bewachung
ins Werk. Dort wurden wir auf die zugewiesenen Arbeitsplätze verteilt. Von 6:00 bis 17:00 Uhr wurde bei einer
Stunde Mittag gearbeitet, dann eine Stunde Rückmarsch ins Lager, um 18:00 Uhr Zählappell meist mit zusätzlicher
Schikane und anschließend Ausgabe des Abendessens (3/4 l Suppe und 200 g Brot). Von 21:00 Uhr bis 4:00 Uhr
Nachtruhe -- und das bei Arbeiten in und außerhalb des Lagers an 7 Tagen der Woche.
Später gab es auch den arbeitsfreien Sonntag.
Schulfreund Rödl Otto arbeitete außerhalb des Werkes im Lager 29. Dort fand er bei Aufräumungsarbeiten noch Essmarken. Mit diesen noch gültigen Marken holten wir im Werk die dreifachen Portionen (je 100 g Brot und ¾ l Suppe), schütteten die dünne Brühe der Suppe ab und hatten so einen festen Eintopf und genügende Mengen Brot, mit denen wir auch noch anderen Kameraden helfen konnten.
Im Hydrierwerk mussten alle Zwangsarbeiter, so auch wir Jugendlichen auf verschiedenen Arbeitsstellen hart arbeiten. Ich war am Anfang einer Kolonne zugeteilt, die dicke Erdkabel zu verlegen hatte. Hier mussten wir metertiefe Kabelschächte graben, armdicke, armierte Erdkabel schleppen, ziehen und verlegen und die Gräben wieder verfüllen. Eine Schinderei, bei der uns die Posten keine Pause gönnten.
Nach Wochen wurde ich zu einer Baustelle, die große Produktetanks baute versetzt.
Wir waren eine Kolonne mit 4 Buben und 2 Soldaten aus dem Lager 27. Der Älteste war ein promovierter
Jurist, den wir Doktor nannten. Eine tschechische Kesselbaufirma aus Kladno baute Produktetanks von 10 bis 20
Meter Durchmesser und 12 Meter Höhe.
Diese tschechischen Handwerker behandelten uns Buben wie ihre Lehrlinge, fair und ohne Hass. Wir lernten,
wie man am Schmiedefeuer zolldicke Nieten zur Weißglut bringt, diese mit der Zange geschickt dem Nieter
zuwirft, wie man eine Niete mit dem Hammer im Doppel- oder Dreifachschlag richtig vernietet. Dazu gehörten aber
auch Schwerarbeiten wie Gerüste bauen, Gerüstbohlen und Stahlbleche schleppen, Nieten gegenhalten usw..
Zu den schönen Seiten gehörte, wenn ein fertiger Kessel auf Dichtheit geprüft wurde. Er wurde mit Wasser
gefüllt, für uns ergab sich dann die Möglichkeit darin zu schwimmen.
Insgesamt war es eine schwere und nicht ungefährliche Arbeit, oft in 10 m Höhe. Beim Gerüstbau hatte ich
einen schweren Arbeitsunfall. Beim Aufziehen von Bohlen aus dem Kesselinneren fiel eine Bohle aus mehreren
Metern herab, streifte meinen Hinterkopf und schleuderte mich mit der linken Stirn gegen die Stahlleiter. Ich
wurde mit einem Schädeltrauma ins Krankenhaus nach Brüx eingeliefert.
Zum ersten male nach Monaten genoss ich eine Badewanne, gutes Essen und meist deutsche Schwestern und
Ärzte. Diese haben mich wieder kuriert, zivilisiert und halbwegs aufgepäppelt. Leider dauerte dies nur 14 Tage,
denn der nunmehr tschechische Chefarzt ließ keine Verlängerung zu. Erneut ging es zurück ins Lager 17/18.
Wegen der anstrengenden Arbeit war die Verpflegung zum Leben zu wenig und zum Sterben zuviel. Im Lager und
im Werk gab es jeweils eine fett- und salzlose Graupen- oder Dörrgemüsesuppe, und 100 Gramm Brot. Morgens eine
braune Brühe, genannt Kaffee. Ohne Fett, Vitamine und Salz (das war für Deutsche nicht erlaubt) war dies alles
andere als eine Kraft- und Aufbaunahrung für uns Heranwachsende.
Wir magerten bis auf die Knochen ab, bekamen übel riechende, eiternde Hungerödeme an Armen und Beinen und
aufgeschwollene Gesichter und Gliedmassen durch Wassersucht.
Noch heute sind die Hungernarben an den Beinen sichtbar. Immer wieder habe ich bis heute
Wirbelsäulenprobleme aufgrund der dadurch hervorgerufenen Wachstumsstörungen, denn ich bin in dieser Zeit fast
einen Kopf gewachsen.
Flöhe, Kleider- und Filzläuse, nachts die Wanzen waren unsere alltäglichen Plagen. Ab und zu mussten wir
im Lager in die Entlausungskammer, wo durch Hitze die Kleider und wir selbst von den Plagegeistern befreit
werden sollten. Dies wirkte aber eher als Brutstätte für das Ungeziefer. So blieb uns nur die allabendliche
Absuche und das Knacken der Tierchen.
Anfang 1946 gab es dann eine große Entlausungsaktion durch eine US - amerikanische Einheit. Mit Wolken von
DDT wurden wir und die Baracken eingestaubt und uns damit letztendlich Linderung verschafft.
Unsere Lage und auch die Verpflegung besserte sich ab November 1945, als das Internationale Rote Kreuz die Lager kontrollierte und Beschwerde einlegte.
Zu den täglichen Schikanen und Sorgen kam die Ungewissheit, was mit meinen Familienangehörigen geschehen
ist. Mein Vater war im Lager Striemitz bei Brüx. Mutter und Schwester wurden Anfang Juli 1945 im offenen
Viehwaggon nach Sachsen abgeschoben. Doch von all dem wusste ich im Lager nichts. Überhaupt waren wir von
jeder Information über das Geschehen in der Heimat, in Deutschland und der Welt völlig abgeschnitten.
Etwa um die Jahreswende wurde ein Mitglied des Internationalen Roten Kreuzes in unserem Lager aktiv. Er
hatte Informationen über die vertriebenen Eltern der Kinder in Deutschland. So erfuhr ich erstmals, dass meine
Mutter in Herold in Sachsen war.
(Holzschnitt: Karl Heinz Wagner)
Am 6. April 1946 wurde das Jugendlager 17/18 aufgelöst und in das Lager 27 verlegt. Dies war eine Verschlechterung meiner Situation. In diesem Lager dessen Kommandant Ramusch viele Menschenleben auf dem Gewissen hatte, ging es nach wie vor grausam zu. Mit der KZ - Nummer 5569 ging hier mein Lagerleben weiter.
Endlich am 27. 04. 1946 erfolgte meine Entlassung aus dem Tabor 27. Gemeinsam mit mir wurde mein Schulfreund Alfred Hauschild entlassen. Wir fuhren zusammen mit der Eisenbahn nach Komotau Dazu brauchten wir eine offizielle Genehmigung der Lagerleitung.
Entlassungs- und Transportschein
Bestätigung über Abschlußuntersuchung
Das tschechische KZ lag hinter uns, ein Gefühl der Befreiung und Erlösung überkam uns, obwohl die nächste
Station nach unserer Entlassung das Massenlager für unsere Vertreibung aus der Heimat war.
Der 27. April wurde von mir fortan zum 2. Geburtstag erklärt.
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