Die Untere Wilhelmine

Bei der Unteren Wilhelmine, Foto von 1965

Schon seit ihrer Gründung führte die SdJ regelmäßig Winterlager durch, anfangs an wechselnden Standorten. Ein geeignetes Haus oder auch eine Hütte mußte jedes Mal neu gesucht und gefunden werden und es / sie mußte zur gewünschten Zeit auch noch verfügbar sein.

Da sich diese Suche von Jahr zu Jahr als immer schwieriger erwies, wurde eine langfristige Lösung angestrebt. Es gelang uns durch Vermittlung von Karl Kreck aus Sonthofen die Alm UNTERE WILHELMINE ( 1450 m ) im Gunzesrieder Tal vom Bauern Bühler während des Winterhalbjahres zu mieten, zunächst für den Winter 1957/58 und dann ab 1960 für 15 Jahre.

Diese Untere Wilhelmine war für mehrere Jahre Stützpunkt für alle Winteraktivitäten der SdJ.
Hier wurden regelmäßig nach den Weihnachtsfeiertagen und während der Osterferien die Bundesschilager durchgeführt.
In der Zeit von Anfang März bis Ende April luden die SdJ und die DJO Bayern oft zusätzlich zu Ski-Freizeiten ein.

Die Wilhelmine ist eine aktive Hochalm auf 1450 m mit Kuhställen, Heuboden, Plumpsklo, Wohnteil für den Senn. Unser Waschraum war die Käserei im Keller mit zwei Kupferkesseln und einem Wasserrohr, aus dem das eiskalte Wasser aus einem fernen Brunnen floss.
Auf Grund der Höhe und der geografischen Lage war die Hütte schneesicher und nur zu Fuß bzw. mit Steigfellen in 2 Stunden Aufstieg zu erreichen ( den Rucksack mit dem Bedarf von ein/zwei Wochen auf dem Rücken ).

Wir mussten im Herbst das Feuerholz selbst einschlagen und zur Hütte schaffen, die Dauerverpflegung hinauf schaffen und frost- und mäusesicher einlagern, die Schlafplätze ( Strohsäcke mit würzigem Bergheu gefüllt ) für etwa 35 Teilnehmer herrichten und die Hütte winter- und einbruchssicher machen.

Wärend der Lager mußte die frische Verpflegung ( soweit es solche gab ) selbstverständlich auf Schiern hoch getragen werden. Daneben gehörte es auch zu unseren vertraglichen Pflichten, im Winter, bei hohem Schnee, das Dach abzuschaufeln.

Der Zuspruch war groß und so mieteten wir zusätzlich für drei Jahre von der Bundeswehr die benachbarte ,etwas komfortablere Höllritzer Alm. Damit konnten wir ein zweites Winterlager mit etwa 40 Leuten parallel zu dem auf der Wilhelmine durchführen.
Die beiden Hütten lagen einen Kilometer Luftlinie auseinander und konnten sich zeitweise über eine selbst verlegte Telefonleitung über Feldfernsprecher verständigen.

Die Winterlager begannen am 2. Weihnachtsfeiertag und dauerten meist bis zum 6. Jänner.
Die Teilnehmer kamen aus der ganzen Bundesrepublik, vor allem außerhalb Bayerns. Für viele Berliner, Westfalen, Hamburger und Bremer war es ein bleibendes Erlebnis, einmal auf Schusters Rappen die Allgäuer Bergwelt, das Hörnergebiet, zu erleben.

Die Untere Wilhelmine, Foto von 1965

Hier erwartete die Teilnehmer ein Schikurs vom Anfänger bis zum Könner. Präparierte Pisten gab es nicht. Wir mussten uns den Hang selbst eintreten. Schi-Wanderungen im unverspurten Gelände auf die rundum stehenden Gipfel der Hörner, besonders auf das Blaicher Horn, Bergungsübungen mit dem Akia und eine herrliche Hüttengemeinschaft. Es wurde viel gesungen, gespielt und Geschichten vorgelesen.
Einmal besuchte uns der siebenbürger Schriftsteller Bernhard Ohsam und las uns Gedichte und Geschichten aus seinem Buch Eine Handvoll Machorka vor.

Das Essen haben wir selbst gekocht, was oftmals viel Fantasie erforderte, denn es waren meist nur haltbare Lebensmittel verfügbar, die wir hier oben zum Kochen zur Verfügung hatten. Oft war Frau Meier, unsere Christl, gelernte Hauswirtschaftsleiterin, dabei und gab den nicht immer mit der Kochkunst vertrauten Mädchen gute Ratschläge.
Berühmt wurden das hausgemachte Müsli und das Dörrobstkompott.

Jeden Abend wurden die Petromaxe angeheizt, die einzigen Lichtquellen im Hause. Später wurden diese in Tagesraum und Flur / Küche durch Gaslichter mit zentraler Versorgung aus der Propangas-Flasche ersetzt -- dank eines herbstlichen Arbeitseinsatzes der SdJ-Kameraden aus Frankfurt.

Der Kachelofen wurde nie kalt, er brachte die notwendige Wärme zum Trocknen unserer nassen Sachen. So vermischte sich am Abend der Geruch des Holzfeuers, der Petroleumdampf der Lampen mit den Ausdünstungen der trocknenden Kleider und Lederschistiefel. Wer den Duft einmal genoss, wird ihn nie vergessen. In den Schlafräumen im 1. Stock konnte es nachts bitterkalt werden. Da nur der Dumme friert, wurde vieles erfunden, um nicht als dumm eingestuft zu werden.

Der Tagesablauf wurde im Tagesplan festgelegt und die Dienste eingeteilt. Das Hüttenbuch vermerkte alle Ereignisse jeder Belegung, hielt die guten und schlechten Taten der Teilnehmer und nicht zuletzt auch der manchmal zu strengen Lagerleitung fest. Ab und zu musste der Haussegen in Aktion treten.

Verschwiegen darf nicht werden, dass es trotz der Bergeinsamkeit in der Nähe eine Möglichkeit zur Entspannung gab. Das war die Rappengschwend-Alm, bewirtschaftet von unserem Karl (Kreck).
Hier soll mancher Verzweifelte seinen Trost bei einem(??) guten Enzian gesucht und gefunden haben.

Leider blieben die Übungen mit dem Akia nicht nur Theorie. Einige male wurde es ernst, der Notfall musste versorgt und der / die Verletzte ins Tal abgefahren werden. Rauthgundis traf es hier zum zweiten Male. Schon einmal fuhren wir sie mit gebrochenem Bein vom Pürschling ab.

Der Höhepunkt war jedes Jahr die Silvesterfeier. Sie begann mit einem Dreisterne-Menü und setzte sich zunächst besinnlich fort. Von Gedanken zur Jahreswende und Liedern steigerte sich der Silvesterabend mit lustigen Spielen und Sketschen zum zünftigen Hüttenabend. Vor Mitternacht wanderten wir mit Fackeln durch die tief verschneite Natur zum Feuerstoss, den wir tagsüber ein Stück weg von der Hütte errichtet hatten. Zur Jahreswende loderte unser Feuer und leuchtete weit ins Land hinaus.
Die traumhafte Winterlandschaft, die absolute Stille der verschneiten Bergwelt und die Gedanken zur Jahreswende ließen einen jeden von uns Einkehr halten wenn wir sangen: Ein jedes Jahr hat seinen Sinn, ein jedes seinen Segen, so wie es kommt, so nimm es hin, mit Sonne, Wind und Regen . . .

Wieder zurück in der warmen Hütte gab es den speziellen Hauspunsch und mitgebrachte Weihnachtsbäckereien. Die Hüttenband spielte zum Tanz auf. Lustige Sketsche, Spiele und allerlei Hüttenzauber brachten die Stimmung in Schwung.

Das einfache Hüttenleben formte eine feste Gemeinschaft und der Abschied fiel am Ende eines jeden Lagers jedem Teilnehmer schwer.



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