Da gehst Du hin sagte meine Mutter zu mir an einem Tag im Jahr 1947, als in der ersten zugelassenen
Tageszeitung die Gründung einer Jugendgruppe angekündigt wurde. Freie Deutsche Jugend klingt gut: Frei ist gut
und deutsch auch, fuhr sie fort. Nach dem Besuch der ersten Zusammenkunft sagte sie sofort da gehst Du
nicht mehr hin, denn ich erzählte zu viel von der Kommunistischen Partei, von Thälmann und Rosa Luxemburg.
Kurze Zeit später wurde in Bayreuth eine Sudetendeutsche Jugendgruppe gegründet.
Wieder hieß es: Da geht Ihr hin -- mit meiner älteren Schwester folgte ich der Aufforderung.
Kurz vorher war in Bayreuth ein Hilfs- und Kulturverein der Sudetendeutschen gegründet worden. Es war mehr oder weniger ein Freundeskreis, der Landsleute von denen viele wie meine Familie noch in Flüchtlingslagern lebten. Die Jugendgruppe gehörte dazu und traf sich einmal wöchentlich in einer Schulstube.
Unsere Gruppenleiter, das Ehepaar Schieberle, war in der Heimat Mitglied einer Spielschar in Mährisch Schönberg gewesen. Nach diesem Vorbild gestalteten sie die Gruppe. Es wurden Volkstänze eingeübt, Volkslieder gesungen. Und in jeder Gruppenstunde wurde etwa ½ Stunde Heimatkunde vermittelt. Damals lernte ich Werke bekannter sudetendeutscher Autoren, viel über die Landschaften und wenig über die Geschichte des Sudetenlandes kennen.
In den ersten Jahren war das Durchschnittsalter der Gruppenmitglieder etwa 25 Jahre. Kriegsheimkehrer, Arbeitslose, ältere Berufsanfänger gehörten dazu. Unsere Gruppe war eine echte Solidargemeinschaft und die Mitglieder waren einander eng verbunden. Mehrere heirateten einander auch. -- Wir Jüngeren (ich war 12, 13 Jahre) wurden mitgeschleppt, waren bei den Fahrten der ständige Küchendienst und durften ansonsten bei Veranstaltungen Gedichte oder Zettel aufsagen. Beim Abzeichenverkauf wohnte ich auch der Gründung des Adalbert Stifter Vereins bei.
Weil wir sehr oft Veranstaltungen in den Flüchtlingslagern der Umgebung bestritten setzten wir alles daran, auch ordentlich gekleidet zu sein. Unsere Burschen trugen ein weißes Hemd und Lederhosen -- das war einfacher, so etwas besaß damals fast jeder. Wir Mädchen mußten ein Dirndl bekommen, das war in jener Notzeit schwieriger. Mir wurde das Dirndl einer Tante zurechtgeschneidert, meine Schwester bekam eines aus einem Vorhangstoff, den unsere Mutter in einer Tauschzentrale erstanden hatte. Gottseidank konnte meine Mutter gut schneidern.
Die Fünfjahresfeier des Vereins, der sich nun schon Sudetendeutsche Landsmannschaft (SL) nannte, war eine hochfestliche Angelegenheit. Aus diesem Anlaß trat ich -- im Gegensatz zur Gruppe -- in Zivil auf, denn ich mußte als Prolog eine lange Ode aufsagen. Ich bekam dafür das erste neue Kleid meines Lebens (bei zwei älteren Schwestern hieß es bei von diesen abgelegten Kleidern immer ä, das geht schon noch für Dich! ). Ich war bei der Feier also der Anfang und das Ende und bekam dafür die erste und letzte Schulung in der Vortragskunst von einem Mitglied der Landsmannschaft, dem Schönhengster Dr. Fritz Benesch, der mit seinem Autorennamen Fridolin Aichner berühmt wurde.
Die Sudetendeutsche Jugend (SdJ) wuchs und wuchs und wuchs. Zumindest in Bayern gab es fast in jedem Ort eine oder mehrere SdJ - Gruppen. Etwa um 1951 begannen wir auch, die Gruppen nach Altersstufen zu trennen. War an einem Ort eine Gruppe entstanden, versuchten wir, Gemeinschaften in allen Altersstufen aufzubauen: Kinder- (6 - 10 Jahre), Jungmädel- (10 - 14 Jahre), Mädelgruppen (10 - 14 Jahre), Jungenschaften und Jugendkreise. Mitgliederzahlen der SdJ von 100 und mehr Jugendlichen waren auch in kleinen Orten nicht selten.
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