Im Jahr 1957 kam es durch Karl-Heinz Claaßen zu einer Entscheidung, die für die Jungenschaft in NRW große Bedeutung erlangen sollte.
„Ich hatte“, so berichtet er, „als Bezirksjungenschaftsführer Bezirk Ruhr ein Sommerlager in einem Steinbruch bei der Listertalsperre ausgeschrieben. Es waren nicht viel Teilnehmer, ca. 10 Jungen von 9 bis 14.
Helfer sollten auch Olaf Nordt und Volker Groß sein, beide aus Dortmund, mir immer
zuverlässige Helfer, dazu noch ein mir kaum bekannter, aber von Guntram empfohlener Sozialpädagoge aus der
Gegend von Köln, Manfred Perkowski.
Volker und Olaf stellten fest, dass sie bei der geringen Teilnehmerzahl dann wohl nicht gebraucht
würden, daher ließ ich sie laufen, sie hatten einen Hang zum Heiligenhof und wollten sich da nützlich
machen (und balzen).
Bei Lagerbeginn fehlte uns ein 10-jähriger, den ich noch mit dem Fahrrad an der Straße überholt hatte.
Nachts gegen 3 Uhr brachte ihn die Polizei, er hatte sich verlaufen und war bei der Wasserwacht
aufgefangen worden.
Zwei Tage nach dem Beginn fuhr ein Mercedes in das Lager und ein Mann stellte sich vor als zuständiger
Verwalter des Steinbruchs.
Er verkündete uns, wir würden hier widerrechtlich zelten und sollten sofort räumen. Eine wie ich
glaubte ordnungsgemäße Erlaubnis, die ich vorweisen konnte, war nicht gültig. Ein dafür Unberechtigter
hatte sich fälschlicherweise als Besitzer ausgegeben. Er könne aus rechtlichen Gründen keine Haftung für
das Gelände übernehmen, erklärte uns der Mann.
Als ich ihm den Vorschlag machte, ihn von der Haftung freizustellen, blieb er ohne großen Kommentar
bei seinem Standpunkt.
Allerdings sah er sich das Lager an, vor allem die Toiletten und lud mich für einen der nächsten Tage
nach Gummersbach in sein Büro ein.
Hüttenbau an der Bleche
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Also fuhr ich mit dem Fahrrad die 25 km dorthin und betrat sicher nach Schweiß stinkend -- es war ein
sehr heißer Sommertag -- ein vornehmes Gebäude mit vier Säulen am Eingang und Pförtnerloge.
Die Vorzimmerdame wusste bereits Bescheid, im Büro versank ich dann in dicke Lederpolster. Ich war,
wie ich feststellen konnte, im Büro des Liegenschaftsverwalters der Grauwacke-Union Linz/Rhein gelandet.
Mein Gesprächspartner kam ohne lange Vorrede zur Sache.
Er zeigte mir anhand von Flurkarten und Messtischblättern, die er vor sich liegen hatte, fünf
Steinbrüche, die ich mir ansehen sollte, von denen wir einen evtl. pachten könnten. Unser derzeitig
genutzter Platz war nicht dabei.
Zur näheren Erklärung meinte er, er sei früher bei den katholischen Pfadfindern gewesen und da es ihm
gefallen habe, wie wir uns eingerichtet hatten, möchte er uns unterstützen.
Ich verstaute die Karten notdürftig und wollte auf dem Rückweg gleich einen Platz in Augenschein
nehmen, konnte aber den richtigen Zugang nicht finden.
Als wir anderntags zusammen mit Manfred Perkowski zuerst an diese Stelle mit der Besichtigung
anfingen, entdeckten wir zu zweit rasch den Eingang in das zugewachsene Gelände.
Der Eindruck war überwältigend: ein kleiner See mit steilem Felsenufer auf der einen, aber auf der anderen Seite eine ebene Fläche, umgeben mit aufsteigenden Wänden, die nur durch einen ganz schmalen Pfad zugänglich war.
Wir suchten gar nicht weiter, ich fuhr zum nächsten Telefon und informierte den Direktor.
Er meinte, den Platz hätte er auch genommen.
Wir erhielten die Erlaubnis, mit dem ganzen Lager sofort dorthin zu ziehen, wir tummelten uns aber nur einen Tag dort, der Umzug mit allem war ohne Auto zu aufwändig.
Eishockey am Bleche-See
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Ja, ich unterschrieb dann einen Vertrag, in dem ich die Haftung für diese Immobilie übernahm für eine
Pacht von 3 DM/Jahr.
Vor der Unterzeichnung hatte ich mit Willi Schultes von der DJO-Landesführung telefoniert, ob der
Landesverband den Vertrag unterschreiben könne. Ich wurde beschworen, so etwas nicht zu tun! Helmut
Schramm und Hans Kreibig von der Landesführung rieten mir auch ab.
Ich habe es trotzdem getan und es war im Sinne der Jungenschaft eine richtige Entscheidung!
Von Köln bis Münster war die Bleche ein Anziehungspunkt für die Gruppen.
Als wir dann eine Hütte gebaut hatten mit Propangaskocher für große Hordentöpfe, da konnten die
Gruppen auch im Winter Wochenenden dort verbringen und der See wurde zum Eislaufen genutzt.
Das war für die Bergarbeiterkinder aus dem Ruhrgebiet ein wichtiges Fahrtenziel.
Das letzte von mir geleitete Pfingstlager fand 1963 in der Bleche statt.
Pfingstlager 1963
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Bei unseren Pfingstlagern dort war es mir stets gelungen, bei der Bundeswehr ( in Gelsenkirchen ) eine
Feldküche nebst Personal zu erhalten. Auf die Idee brachte mich Olaf Nordt, Jungenschaftsführer aus
Dortmund, der während seiner Dienstzeit bei der Bundeswehr erlebte, wie das bei den Pfadfindern üblich war.
Diesmal allerdings bekam ich von irgendeinem Feldwebel eine Absage.
Daraufhin rief ich noch einmal an und verlangte den Küchenchef. Als dieser von der Absage erfuhr,
regte er sich furchtbar auf ( das hatte ich ja beabsichtigt ), versicherte mir, er selbst bestimme, wer,
wo und ob überhaupt jemand eine Feldküche gestellt bekommt.
Also bekamen wir die Feldküche.
Dieses Lager hatte leider einen tödlichen Unfall:
In der Nähe des Lagergeländes führte die Bundestraße 54 Hagen-Siegen vorbei, die BAB 45 gab es noch
nicht. Es gab einen Kaufladen in 800 m Entfernung, man musste dazu diese B 54 überqueren, was wegen der
Autos eine Gefahr darstellte.
So hatte ich bei der Eröffnung und bei jeder gemeinsamen Versammlung den Jungen gepredigt, dass sie
das Lager nicht verlassen dürften wegen der Gefahr dort.
Wenn aber ein Gang zum Laden unerlässlich sei, dann nur nach Genehmigung durch ihren Scharführer und
mit Begleitung eines mindestens 13-jährigen Jungen, nie alleine.
Wer sich nicht dran halten würde, der würde sofort nach Hause geschickt. Die Scharführer seien für
die Einhaltung verantwortlich.
Am Pfiingstsonntag ging ein Scharführer aus Neuss/Rhein mit 6 oder 7 Jungen zu dem Laden, der auf
Klingeln öffnete, damit die Buben ihr Taschengeld loswerden konnten.
Auf dem Rückweg geschah es, dass der 14 Jahre alte Günter Ritter nach Aussage des Scharführers kurz
vor Erreichen der Straße plötzlich loslief und über die Straße spurten wollte. Dabei wurde er von einem
Auto voll erfasst und in die Luft geschleudert und schlug danach auf der Straße auf.
Der Scharführer brachte erst seine Jungen über die Straße und lief dann zu einem Telefon zurück in
den Laden.
Die schockierten Jungen informierten mich über den Vorfall und als ich zur Straße kam, war schon der
Rettungswagen da.
Ich teilte einen Älteren ein, mit dem Rettungswagen mitzufahren, um zu berichten, wie schwer die
Verletzungen seien. Allerdings stellten die Sanitäter nach 8 km Fahrt fest, dass der Junge tot war und
luden ihn bei einem Gehöft an der Straße aus.
Inzwischen war die Polizei im Lager und befragte mich über die Sicherheitsvorkehrungen und befragte
die Jungen im Lager und die der Gruppe, zu der der Tote gehörte. Dann zog die Polizei ab, ohne
Kommentar.
Danach erschien ein Herr, der sich als der Leichenbestatter zu erkennen gab. Er habe keinen Helfer wegen der Feiertage und fragte daher, ob ihn jemanden für die Einsargung begleiten könnte, er allein würde es nicht schaffen. Der zuständige Scharführer kam natürlich nicht in Frage, Guntram sah sich außerstande, so fuhr ich mit. Die ganze Aktion dauerte eine Stunde, dann war ich wieder zurück.
Die Leitung des Lagers hatte ich Guntram übertragen, der das Lagerprogramm abwickelte, so gut es nach
dem Geschehen möglich war.
Ich war für den Rest des Tages nicht mehr dazu in der Lage.
Die Benachrichtigung der Eltern des Verunglückten übernahm die Polizei mit dem dortigen Pfarrer, man fand die Eltern aber nicht zu Hause.
Guntram und ich waren uns mit den anderen Gruppenführern einig, dass das Lager weiter laufen musste, wir hätten sonst ein Riesenproblem bekommen. An ein fröhliches Lagerleben war natürlich nicht mehr zu denken. Der Abend klang in einer ernsten Feuerrunde aus.
Den anwesenden Gruppenführern machten wir in eindringlichen Gesprächen klar, welche Verantwortung sie
bei allen ihren Unternehmungen für ihre Gruppe übernehmen.
Auch wenn man nicht immer mit dem Schlimmsten rechnen muss, ist es wichtig, Gefahrenmomente zu
berücksichtigen.
Da die Polizei bei ihrer Recherche keinerlei Fehlverhalten auf unserer Seite feststellen konnte, war
es mir wichtig, den Jungen nach so einem Ereignis lähmende Ängste vor zukünftigen eigenen Unternehmungen
zu nehmen.
Sechs Monate später kam dann ein Brief der Staatsanwaltschaft, dass die Untersuchung aus Mangel an
Schuld eingestellt sei.
Die Hilfe der Landesführung für mich bestand lediglich in einer Adresse für einen Anwalt! Keinerlei
Zuspruch oder das Angebot, ein solches Geschehen im Gespräch zu erörtern und aufzuarbeiten.
Das hat mich sehr enttäuscht."
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