Erinnerungen an die DJO - Jungenschaft

Der Anruf kam am gleichen Tag wie die Einladung nach Stuttgart zum Festakt. Norbert Bieneck, langjähriger Verantwortlicher für die Verbandszeitschrift Der Pfeil hatte mich für die Sondernummer zum 50. Jahrestag der Gründung der DJO ausfindig gemacht.

"Wenn einer über die Anfänge der DJO - Jungenschaft etwas sagen kann, dann du, als der erste, aus den Reihen der Gleichaltrigen gewählte, bundesweite Verantwortliche an der Spitze....", meinte Norbert.

Leichter zugesagt, als getan. Immerhin ist es über 35 Jahre her, dass ich dem Jugendverband den Rücken gekehrt, die Gemeinschaft Gleichgesinnter verlassen habe, um ein privates Leben mit Beruf und Familie anzustreben. Eine Entscheidung, die mir, wenn ich mich recht erinnere, nach zehnjähriger Tätigkeit in der Jungenschaft zwingend notwendig erschien, aber auf keinen Fall sehr leicht gefallen ist.

So plötzlich mit der Tatsache konfrontiert, mich mit Dingen auseinander zu setzen, die ohne Zweifel einmal einen wichtigen Abschnitt im Leben darstellten, kommen mir doch gewisse Zweifel, ob ich heute der ganzen Sache auch gerecht werde. In der Hoffnung meine Erinnerung etwas aufzufrischen, kramte ich in ein paar alten verstaubten und vergilbten Aktenordnern mit Unterlagen aus der damaligen Zeit, die auf dem Dachboden Jahrzehnte lang vergessen, der Entrümpelung entgangen waren. Beim Durchblättern entdeckte ich wahre Schätze für mein Vorhaben in der Form von Briefen, alten Entwürfen zum Jungenschaftsgesetz und verschiedene Protokolle und Berichte. Hier ist also meine Geschichte.

Seit dem Gründungsjahr der DJO gehörte ich der bayerischen Sudetendeutschen Jugend an, nahm an den landsmannschaftlichen Pfingsttreffen teil und war eifriger Teilnehmer an Sommer- und Winterlagern und ging mit Gruppen Gleichgesinnter auf Fahrt. Als wir im Sommer 1954 nach einer sechswöchigen Deutschlandfahrt am Heiligenhof in Bad Kissingen vom Fahrrad stiegen, hörten wir zum ersten Mal den Begriff Jungenschaft. Für die meisten meiner späteren Weggefährten, die in den einzelnen Landesgruppen kurz darauf Führungspositionen innehatten, begann das Leben in der Jungenschaft ungefähr um die gleiche Zeit.

Was war die DJO - Jungenschaft?

Wenige Jahre nach Gründung der DJO erwies sich die bestehende Arbeitsmethode für die besonderen Ansprüche der 10 - 18 Jährigen als unzureichend. Deshalb schufen einige einsichtige Persönlichkeiten der damaligen Führungsmannschaft aus überlieferten Elementen früherer Jungenschaften, anfänglich sogar gegen den Widerstand der damals eher landsmannschaftlich ausgerichteten DJO-Führung, eine Form der Lebensgestaltung, die von uns Jüngeren unvoreingenommen, manchmal auch etwas kritisch, aber im großen und ganzen begeistert aufgegriffen und gemäß der damaligen Zeit weiterentwickelt wurde.

Jungenschaft -- so nannte sich innerhalb der Jugendbewegung anfänglich eine kleine Gruppe junger Menschen, die anders sein wollte, als die verschiedenen Bünde und Organisationen ihrer Zeit. Zwischen den beiden Weltkriegen entwickelte sich unter diesem Begriff eine ganze Richtung, die durch neue Lebensformen und Gestaltungsinhalte Gruppen und Bünde entscheidend beeinflusste. Ihr besonderes Merkmal war die reine Jungengemeinschaft, die ihren Lebensstil und ihre selbstgewählte Bindung durch verschiedene Altersstufen bis zum Männerbund fortsetzen wollte.

Es entspräche nicht den Tatsachen, würde man die DJO - Jungenschaft, als einen eigenen Bund ansehen, der an alte Formen anknüpfend aus der Erinnerung wieder entstanden ist. Sie war vielmehr eine Altersstufengliederung eines nach dem Krieg völlig neu entstandenen Jugendbundes und konnte daher auch nicht auf eine besondere Tradition zurückgreifen. Obwohl sie von Menschen aufgebaut und beeinflusst worden war, die verschiedenen bündischen Richtungen angehört hatten, stellte sie in ihrer Erscheinungsform etwas Neues dar.

Die Aufgaben, die in der DJO - Jungenschaft zu bewältigen waren, orientierten sich einmal an der besonderen Erziehung für die Zehn- bis Achtzehnjährigen, mussten aber auch der Zielsetzung des Gesamtbundes Rechnung tragen. Im Kreis mit Gleichaltrigen fand der Junge im oben genannten Alter vieles, was ihm sein bisheriger Lebensraum, die Familie oder die Schule, nicht bieten konnte. Hier wurde sein Erlebnisdrang befriedigt und das Leben in einer Gemeinschaft durch entsprechende Gestaltung gefördert. Zusammen mit den derselben Altersgruppe entsprechenden Mädelgruppen führten die Jungenschaftler innerhalb der DJO ein eigenständiges Leben und waren damit die eigentlichen Träger des Jugendbundes. Die Vielzahl der möglichen Aktivitäten kamen dem Tätigkeitsbedürfnis des einzelnen und seiner Forderung das eigene Leben selbst zu gestalten entgegen. Nicht selten wurde die Suche nach dem eigenen Lebensstil, der Weg zur Persönlichkeit durch die Jungenschaft vorgezeigt und geebnet.

Das Verständnis für die Aufgabe und Zielsetzung des Gesamtbundes wurde altersstufengemäß durch eine fundierte Wissensvermittlung und das bewusste Erleben von Recht und Freiheit geweckt. Es lag aber nicht im Sinne der DJO - Jungenschaft nach außen oder gar politisch groß in Erscheinung zu treten. Die Schar, als echte Form der Gemeinschaft, sorgte mit ihrer Gestaltung vielmehr dafür, dass das innere Leben der DJO bündischen Charakter behielt.

Die DJO - Jungenschaft wollte auch keine Massenorganisation sein. Obwohl sie während meiner Amtszeit zu zwei bemerkenswerten Bundeslagern zusammenkam, lebte sie innerhalb der Bundesrepublik auf die geographischen Bundesländern verteilt, in einer überschaubaren Gruppenstruktur, wie es das selbstgewählte, aber in seiner Form straffe Jungenschaftsgesetz vorschrieb. Wissens- und Leistungsproben körperlicher, geistiger und charakterlicher Art kamen dem Leistungswillen der Altersstufe entgegen und bildeten einen natürlichen Ansporn. Von daher bekannte sie sich zu einer Art Auslesegemeinschaft.

Vielleicht erscheint uns technikorientierten und modernen Menschen das im Jungenschaftsgesetz festgeschriebene Erziehungsziel, die Tugenden des ritterlichen Mannes, als veraltet oder überholt. Schon damals war das gesellschaftliche Leben genauso wie heute durch die Gegensätze hier anonyme Masse und dort rücksichtsloses und vereinsamtes Individuum gekennzeichnet. Daher hielten wir in der Jungenschaft die Charaktereigenschaften, wie Selbstbeherrschung zu üben, Ehrgefühl zu besitzen, für Recht und gegen Unrecht einzustehen, Mut in allen Lebenslagen zu zeigen, ein gegebenes Wort zu halten und eine übernommene Pflicht unbedingt zu erfüllen, für wünschenswert. Und Hand aufs Herz -- sind das nicht Eigenschaften, die heute noch genauso gefragt sind? Wir haben uns damals in engagierten Gesprächen, aber auch in schriftlicher Form mit diesen Tugenden auseinandergesetzt. Plattform dafür waren die Jungenschaftsbriefe der Länder, aber auch, was viele heute nicht mehr wissen werden, die eigene Jungenschaftsbeilage des Pfeil Fahne und Zelt, wo neben Geschichten aus dem Gruppenleben, Berichten von Fahrten und Zeltlagern auch Grundsatzartikel abgedruckt wurden.

Das wichtigste bündische Erbe jedoch war die Fahrt und das Lager. In allen deutschen Landschaften konnte man die Jungenschaft der DJO mit ihren grauen Fahrtenhemden und den ostdeutschen Ärmelwappen antreffen. Es zog sie aber auch über die deutsche Grenze hinaus. Von zahlreichen Bergfahrten nach Südtirol, in die Dolomiten und von Erlebnissen in Finnland, in Skandinavien, in England, in Spanien, in Griechenland und im vorderen Orient legten die Fahrtenbücher beredt Zeugnis ab. Die Fahrt von Helfried Weyer, Buxtehude, mit den Fahrrädern nach Afrika fand damals ihren Niederschlag in seinem Buch Heiße Straßen.

Neben den vielen regionalen Lagern der Landesgruppen, die ich als Bundesjungenschaftsführer die Jahre über besuchen konnte, hatten die Grenzlandlager Gaisthal im Bayerischen Wald und auf der Nordseeinsel Amrum für die Jungenschaft besondere Bedeutung. Sie waren die Vorstufe zu den beiden Bundeslagern 1961 in der Rhön und 1963 in Freudenholm bei Preetz. Durch so genannte Winteraufgaben mussten sich die teilnehmenden Gruppen thematisch darauf vorbereiten, so dass auf der Wasserkuppe eine Woche lang das Nibelungenlied gespielt und in Freudenholm am Lanker See das Leben in verschiedenen Indianerstämmen demonstriert werden konnte. Nicht nur die Themenstellung sorgte mindestens ein halbes Jahr vorher für Abwechslung im Gruppenalltag durch die Vorbereitungen, sondern erst recht die Erlebnisse durch die Gestaltung im Lager erzeugten in der Jungenschaftsarbeit so etwas wie ein Bundesbewusstsein und eine nicht zu verachtende Öffentlichkeitswirkung.

Selbstverständlich beteiligte sich die Jungenschaft an den Bundesspielen, die auch schon zu meiner Zeit alle zwei Jahre vom Bund ausgeschrieben wurden, um der allgemeinen Gruppenarbeit einen Anreiz zu geben. Die Jungenschaftsgruppen mussten im Laienspiel, im Kundschafterlauf, im Lied, bei den Leibesübungen, in der Werkarbeit und in einem staatspolitischen Wissensnachweis Zeugnis ihrer Jahrestätigkeit ablegen. Viel lieber als aus der Windrose, dem im Voggenreiter Verlag erschienene Liederbuch der DJO, sang der Jungenschaftler die Lieder aus dem eigenen, vom Bundesjungenschaftsführer zusammengestellten Liederbuch für die Jungenschaftsgruppen, das von einigen damaligen Musensöhnen der DJO, die nicht begreifen wollten, dass Jungen sich selbst ihr eigenes Liedgut wählen, als niveaulos und minderwertig abqualifiziert wurde. Vielleicht gerade deshalb bekam das im Abzugsverfahren hergestellte Büchlein enormen Sammlerwert.

Jetzt einmal angefangen, hätte ich noch manches zu erzählen, was mir aus der Zeit der Jungenschaft so in Erinnerung geblieben ist. Zum Beispiel die für die Fortbildung der Führerschaft des Bundes wichtigen jährlichen Treffen zum Bundesthing am Heiligenhof, in Rodholz oder auf den Burgen Ludwigstein und Freusburg mit der jeweiligen stilvollen Gestaltung oder von meinen Fahrten quer durch Deutschland, um in den verschiedenen Landesgruppen die Lager und Lehrgänge zu besuchen und mit den Kameraden am Lagerfeuer zu sitzen. Und nicht zuletzt sind da auch noch eine ganze Reihe von Namen, die ich im Gedächtnis behalten habe, wobei ich mit manchen sogar heute noch Kontakt pflege.

Mit dieser kleinen Rückschau soll es jedoch genug sein. Einen Satz noch zum Abschluss: Selbst so viele Jahre danach, wo man sehr viel von früher vergessen zu haben glaubt, möchte ich die Jahre in der DJO - Jungenschaft nicht aus meinem Lebenslauf streichen wollen. Gefragt, was mir am stärksten in Erinnerung geblieben sei, würde meine Antwort heute wie damals lauten: die Kameradschaft in einer verschworenen Gemeinschaft.

Klaus Großschmidt


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