So fröhlich wie der Morgenwind

Das Bundeslager 1958 auf der Gis

Ein ewiges Kommen

An einem Samstag im frühen Sommer des Jahres 1958 herrschte ein buntes Treiben am Linzer Bahnhof. Jungen in Grauhemden, Mädchen in Dirndln, Rucksäcke, eingerollte Zeltbahnen und Wimpel: Eine Gruppe nach der anderen rückte an, aus Eferding, aus Stadl-Paura, aus Steyr, aus Kremsmünster, aus Wels und Linz und aus Wien. Sogar ein unfreiwilliger Rieder war dabei, Hans aus Steyr, der in den letzten Tagen seinen Karabiner besonders schön geputzt hatte, um den gestrengen Wachtmeister nicht zu verleiten, ihn über die Feiertage in der Kaserne zu behalten, wohin ihn ein ungnädiges Geschick auf neun Monate verbannt hatte.
In zwei vollgestopften Autobussen ging es dann gegen 12 Uhr hinein in die Bergwelt des Mühlvierte1s, in Richtung Gis.

Unter blauem Himmel, von dem heiß die Sonne brannte, bauten die Jungen ihre Zelte auf, während sich die Mädchen in den Schlafräumen der Hütte häuslich niederließen.
Eine wahre Zeltstadt wuchs da empor inmitten des Waldes. Bald standen in Reih und Glied mehr als zwanzig Zelte aller Größen, vom Zweimannzelt bis zum großen Sonnenwaldzelt der Welser, in dem zwanzig müde Häupter samt Rumpf und Gliedmaßen Platz finden konnten. Jedes Zelt bekam den Namen einer sudetendeutschen Stadt, was zur Folge hatte, dass die Lagerwache Othmar am nächsten Morgen berichtete: "In Franzens Bad ist es gestern um halb elf noch zugegangen."

Kaum standen die Zelte, als wieder ein Autobus ankam, aus dem Gestalten in Grauhemden und Dirndln quollen, die Stiefkinder des Schicksals, die bis Samstagmittag fronen mußten. Andere kamen mit Motorrädern und Rollern und richteten einen Pendelverkehr ein, um die Wiener Autostopper aufzulesen, die sich von Linz aus zu Fuß auf den Weg gemacht hatten.


Das Lager beginnt

Inzwischen war es 17 Uhr geworden. Vor den Zelten traten die Jungen an, singend und mit wehenden Wimpeln marschierten sie zum Haus, wo schon die Mädchen warteten. Die Fahne stieg hoch, und das Bundeslager der Sudetendeutschen Jugend Österreichs nahm seinen Anfang. Eine Viertelstunde später sah man die Mädel und Jungen schon beim Singen. Gretl traktierte die Kleinen, Gox die Großen. Es ging darum, vier funkelnagelneue Lieder für die Morgenfeier zu erlernen.
In erbittertem Kampf gegen revoltierende Mägen gelang es denn auch, das Plansoll zu erfüllen, und kurz nach 19 Uhr war es endlich zum Essen.

Eine Stunde dauerte die Freßpause.
Wer aber denkt, wir hätten uns während dieser Zeit der wohlverdienten Ruhe hingegeben, der irrt. Wir wollten doch ein Lagerfeuer machen, und dazu braucht man Holz. Also auf in den Wald!
Um 20 Uhr saßen wir dann um den vorbereiteten Holzstoß. Lustige Lieder klangen auf, und bald waren wir nicht mehr allein. Hatte sie das Singen angelockt, oder war die Kunde von unserer Anwesenheit schon in alle Hütten gedrungen -- jedenfalls stand eine Schar von Gästen bei uns, die zuerst zaghaft, dann aber aus voller Kehle mitsangen. Als die ersten Sterne am Himmel standen, entzündeten wir das Feuer, und es begann der Lagerzirkus, ohne den ein Lager kein Lager ist. Vom Reiterkampf bis zum schaurigen Ritterdrama fehlte nichts, und Tonis Witz sprühte seine Funken wie eh und je. Rasend schnell verging die Zeit.
Als es aber gegen 10 Uhr ging, setzte Othmar die Amtsmiene auf und schwang in der erhobenen Rechten die Lagerordnung: 22 Uhr Nachtruhe! Da half nun nichts. Die Mädchen mußten in ihre Betten kriechen, die Jungen in ihre Zelte, und bald war es still im Lager. Nur in Franzensbad soll es, wie berichtet, um halb elf noch zugegangen sein.
Um zwei Uhr ging aus unerforschlichen Gründen sämtlichen Luftmatratzen die Luft aus. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß Edi um diese Zeit Wache hatte.


Freunde, laßt uns fröhlich loben . . .

Um 6.30 Uhr störte Othmar die Nachtruhe mit einem kräftigen Guten Morgen! Und als uns ein verschlafener Blick aus dem Zelt davon überzeugte, daß der Himmel wie an allen Tagen vorher blau und ohne Wolken war, vergaßen wir, grimmige Gesichter zu schneiden und liefen gehorsam hinter Hans durch den Frühlingswald.
Mit Frühsport, Zeltordnung, Waschen und ähnlichen Lustbarkeiten verging die Zeit bis 8 Uhr. Zur Morgenfeier versammelten wir uns dann wieder um die Fahne.

Die Welt wird neu im Licht des Laubes, diese Worte standen über der kleinen Feier.
Höher stieg die Sonne, und unsere Lieder sagten, was wir alle spürten. Im Wald ist schon der helle Tag sangen wir, Aus den hellen Birken steigt schon die Sonn' entgegen und Jeden Morgen geht die Sonne auf in der Wälder wundersamer Runde. Wie ein Bekenntnis aber stieg das letzte Lied zum Himmel auf:

Freunde, laßt uns fröhlich loben
unsre schöne, helle Welt!
Mag's im Finstern noch so toben,
wir sind treu dem Tag gesellt.

Sonne, Wolken, Schnee _ und Regen
ziehen über uns dahin,
um uns glühet Gottes Segen,
und wir stehen mitten drin.

Laßt die alte Welt sich heben
in ein helles Morgenlicht,
daß uns wieder neues Leben
aus den alten Schollen bricht!

Nach dem Frühstück trafen wir uns wieder auf der Wiese.
Bald tummelten sich die Jungen mit Othmar herum, die Mädchen machten mit Roswitha Spiele, die Großen aber lagerten sich malerisch an den Rand des Waldes, wo Gox über Wesen und Ziel unserer Gemeinschaft sprach. Volle anderthalb Stunden harrten sie bei ihm aus.
Als schließlich der Geist bis zum Äußersten angestrengt war, kam der Körper an die Reihe, denn nun ging es zum Volkstanzen. Franz nahm sich der blutigen Anfänger an, während Gretl die großen Könner zu letzter Meisterschaft führte. Die Kleinen aber übten mit Hingabe weiter an den Spielen von der schönen jungen Lilofee und vom Doktor Allwissend.

Als wir dann noch eine Stunde lang im großen Kreis frohe Wanderlieder gesungen hatten, meldete sich wieder gebieterisch der Hunger. Bald saßen wir vor den Zelten und auf den Bänken vor dem Haus, packten die Brote aus und löffelten die Erbsensuppe, die allgemeine Anerkennung fand.

Nach dem Essen wurde ein Fußballspiel ausgetragen, in dem Wien über OberÖsterreich 5:0 siegte. Und siehe da, dieselben Jungen, die meuterten, wenn sie länger als eine Stunde singen sollten, waren gar nicht müde nach dem Spiel und turnten begeistert bis 15 Uhr. Abseits sah man Mädchen herumflitzen, das war Inge mit ihrer Schar, und die Kleinsten sprangen mit einem Ball und Traudl durch die Gegend.

Anschließend gab es wieder Vorträge. Die Mädchen waren dem Wotzinger ausgeliefert, der als Zugsführer a. D. eine Menge über Erste Hilfe bei Unglücksfällen zu sagen wußte, und Othmar hielt für die Jungen Fahrtenkunde.
Frenetischen Beifall erntete Gerhard, der uns aufklärte, man brauche bei Gott keinen Kompaß. Wenn man sich in sternloser Nacht in einer Gegend ohne Baum verirrt habe, könne man aus der Ekliptik die Himmelsrichtung berechnen, es empfehle sich aber, Logarithmenbuch und Rechenschieber mitzunehmen.

Noch stand die Sonne hoch, und die Wälder atmeten schwer in der brütenden Hitze des Sommernachmittags. Immer sichtbarer aber strebte das Lager seinem Höhepunkt zu, der abendlichen Feierstunde.
Es begann damit, daß an die zwanzig Leute beim gemeinsamen Singen fehlten. Lagen sie irgendwo faul in der Sonne? Nein, sie hatten sich mit Gox in einen schattigen Winkel zurückgezogen und waren von 4 Uhr an für Othmar nicht mehr zu sprechen.
Man wußte nicht recht, was sie trieben, nur manchmal wehte der Wind etwas von ihren Liedern ins Lager, und es klang vierstimmig. Es war die Spielschar, die sich auf die Feierstunde vorbereitete.


Wir stehen in der Runde

Wer je einen Sudetendeutschen Tag miterlebte, wird nie das großartige Schauspiel vergessen, wie Tausende von Jungen und Mädchen, nach Ländern angetreten, in die Lagerstraße einbogen, wie sich aus den Reihen die Fahnenträger lösten, um sich in den Fahnenblock an der Spitze einzureihen, und wie sich dann unter den Klängen von Fanfaren hinter einem Wald von Fahnen der endlos scheinende Zug in Bewegung setzte.
Es war kein Sudetendeutscher Tag, es flatterten nur Wimpel hinter der Bundesfahne und statt nach Ländern traten wir nach Gruppen an. Aber es war uns nicht weniger festlich zumute, als aus den Zelten und droben vom Haus 120 Jungen und Mädel kamen, die ein Wochenende zu gemeinsamem Leben und Tun zusammengeführt hatte.

Gehörte der Tag dem fröhlichen Lagerleben, der Abend sollte im Zeichen der unvergessenen Heimat stehen.
Nach sprühendem Übermut sollte eine Stunde des ernsten Besinnens den Tag beschließen. Im Bekenntnis zur Heimat sollte ausklingen, was am Morgen mit dem Lob des Lichts begonnen hatte.

Die Sonne war längst hinter den Wäldern untergegangen, und Dunkelheit hüllte das Land ein. Da traten wir an, schweigend marschierten wir zur Feierstätte, und schweigend entzündeten wir die Fackeln.

"Ich, Sobieslav, Herzog der Böhmen, mache allen Gegenwärtigen und Kommenden kund, daß ich die Deutschen, so unter der Burg von Prag siedeln, unter meine Gunst und unter meinen Schutz nehme   . . . " -- Worte aus uralter Zeit klangen auf, und dann riefen die Sprecher die Geschichte vom Unglück des Landes Böhmen in die Nacht: Wie die Deutschen ins Land kamen, gerufen von den Herren Böhmens, wie der Teufel unter den Völkern Haß und Zwietracht säte, und wie der Same in unserer Zeit böse Frucht trug.
Schweigend, wie wir sie entzündet hatten, löschten wir unsere Fackeln aus, gingen wir zurück in das Lager, und die Worte und Lieder klangen nach in den Herzen, bis uns nach langem und erfülltem Tag der Schlaf nahm.


Du gibst uns Stärke für unsre Werke

Nun war der letzte Tag unseres Lagers gekommen. Noch einmal standen wir um die Fahne, klangen die Lieder hell in den Morgen, noch einmal kam Leben in die Wälder, als die Jungen zu einem Geländespiel auszogen, während die Mädchen eine Schnitzeljagd veranstalteten.
Aber schon drängte die Zeit. Schrille Pfiffe riefen uns zurück ins Lager, und bald konnte man sehen, wie ein Zelt nach dem andern in sich zusammensank. Droben in der Hütte wurde gekehrt und geschrubbt, und ehe eine Stunde vergangen war, lagen Reihen von Rucksäcken dort, wo zwei Tage lang unsere Zelte gestanden hatten.
Zum letzten Mal hörten wir den Ruf: "Zeltgruppenweise antreten!" Mit fröhlichen Liedern, aber auch ein wenig überschattet von der Wehmut des Abschieds, zogen wir den Hang hinauf, um die Fahne einzuholen.
Und dann marschierte die lange Kolonne, noch einmal mit wehenden Wimpeln, hinunter zur Straße, wo die Autobusse schon auf uns warteten.

Viel zu schnell waren uns die Tage vergangen. Zwei Tage nur waren es gewesen, dort oben, fern der Stadt. Aber es waren erfüllte Tage, die uns in reichem Maß schenkten, woraus dem Einzelnen wie der Gemeinschaft die Wirklichkeit des Daseins erwächst: tiefes, unverlierbares Erleben.



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