Die heimatpolitische Aufgabe der Sudetendeutschen Jugend

Oft wurde uns in den vergangenen Jahren die Frage gestellt, und es waren durchaus nicht immer oberflächliche oder übelwollende Menschen, die uns danach fragten: Welche Aufgabe, welches Daseinsrecht hat die Sudetendeutsche Jugend? Gibt es nicht in Österreich genug Jugendverbände unter denen jeder von euch seine Wahl treffen könnte? Begebt ihr euch nicht, wenn ihr euch in einem eigenen Bund sammelt, in eine Abgeschiedenheit, die weder euch selbst noch eurer Sache dienen kann?

Diese Bedenken bestünden zu Recht, wollten wir Sudetendeutsch nur als, eine Herkunftsbezeichnung verstanden wissen: Sudetendeutsche Jugend ist die Jugend aus dem Sudetenland. Aber Sudetendeutsche Jugend, das bedeutet mehr. In unseren Reihen sammeln sich alle jene, die nicht nur Sudetendeutsche sind, sondern Sudetendeutsche sein wollen, die ihre Herkunft nicht wie einen Zufall ertragen oder wie einen Makel, der ihnen hinderlich ist. Und in unseren Reihen stehen auch viele junge Österreicher, denen das Sudetenland nicht wie uns Heimat ist, die aber, nachdem sie der Zufall einer Begegnung in unsere Gemeinschaft geführt hat, sich mit uns zu unserem Recht auf die Heimat bekennen. Sudetendeutsche Jugend -- das bedeutet ein Programm, eine bewußte Zielsetzung, ein Bekenntnis, eben das Bekenntnis zu unserer Heimat und zu unserem Recht.

Wir haben also, ebenso wie als Jugend, auch als Sudetendeutsche unsere Aufgabe, eine Aufgabe, die wir im Gegensatz zur pädagogischen, wie sie allen Jugendbünden gestellt ist, als die heimatpolitische bezeichnen wollen.
Es mag sein, daß bei diesem Wort in manchem Bedenken aufsteigen: Jugend und Politik? wird man fragen. Begibt sich eine Jugend, die Politik treibt, nicht auf einen gefährlichen Boden? Kann es verantwortet werden, daß Jugendliche, deren Eltern in verschiedenen politischen Lagern stehen, politischen Problemen gegenübergestellt werden?

Alle diese Fragen könnten nicht aufgeworfen werden, wäre nicht das Denken schon so verwirrt, daß Politik bedenkenlos mit Parteipolitik gleichgesetzt wird:
Die Sudetendeutsche Jugend ist überparteilich, es gibt keine Partei, der sie auch nur nahestünde, keine Ideologie, die sie vertritt und verficht, keine parteipolitische Gesinnung irgendwelcher Art, die von der Sudetendeutschen Jugend korporativ vertreten wird.

Aber Politik ist mehr.
Politik erschöpft sich nicht in Tagesfragen sondern weist über den Tag hinaus in Bereiche, die gültig sind, gültig auch für die junge Generation. Und das politische Lied ist, recht verstanden, keineswegs ein garstig Lied, sondern ein hohes Lied, das unter vielen eine der reinsten Gestalten der Geschichte anstimmte: Platon. Und, so stellen wir die Gegenfrage, wäre es nicht unverantwortlich, einen so wichtigen Fragenkreis wie es die Probleme des Zusammenlebens in großen Gemeinschaften sind, zu übergehen, als gäbe es ihn nicht?
In der Auseinandersetzung mit der Umwelt sind eben nicht nur Fragen des geistigen und des sittlichen Lebens, sondern auch Fragen des politischen Lebens zu bewältigen, und, was das enger gefaßte Ziel unserer Gemeinschaft angeht: Heimatliebe ist von Heimatpolitik nicht zu trennen, denn Heimat ist uns nicht nur Erinnerung an die Vergangenheit, sondern auch Aufgabe für Gegenwart und Zukunft.

Der Zehnjährige hat freilich andere Dinge im Kopf als politische Fragen, aber die Älteren, die in den Jugendkreisen stehen, dürfen nicht nur, sie müssen sogar als künftige Träger der Ordnung sich mit allem auseinandersetzen, was diese Ordnung betrifft.
Wie sich jedes Glied unserer überkonfessionellen Gemeinschaft persönlich zu seiner Religion bekennt, so wird auch jedes Glied seine eigene persönliche politische Überzeugung haben, der Zehnjährige nicht, wohl aber der Zwanzigjährige, und jeder wird diese Ansicht auch innerhalb unserer Gemeinschaft vertreten. Wir wollen nicht, sagte kürzlich ein Referent zu unseren Führern, daß du, wenn du in die Heimstunde gehst, draußen mit Hut und Mantel deine politische Überzeugung ablegst. Wir wollen deinen Mut, nicht nur beim Sprung vom Fünfmeterbrett. Wir wollen aber auch dein Maß, deine Einsicht, daß dein Standpunkt nicht deshalb, weil er der deine ist, für alle gültig ist.

So ist also die Sudetendeutsche Jugend ein Klub, in dem politische Fragen diskutiert werden?
Das wäre zu wenig. Wir haben -- als Gemeinschaft -- eine politische Aufgabe, die wir uns selbst gestellt haben und der zu dienen wir fest entschlossen sind: Wir haben uns gelobt, das Unsere zu tun, dem Recht zum Sieg zu helfen und nie in unserer Liebe, unserem Wollen und unserem Tun zu erlahmen, bis wir als freie Menschen in unsere Heimat zurückkehren.

Die erste Aufgabe, die wir uns gesetzt haben, scheint so bescheiden zu sein, daß sie kaum der Erwähnung wert ist. Dennoch ist sie der erste Schritt auf jenem großen Weg, der erst die anderen Schritte möglich macht. Könnte es nicht geschehen, daß die Zeit zum Verbündeten des Unrechts wird? Daß die Liebe zur Heimat erkaltet? Daß der Wille zur Heimkehr einer Resignation weicht, wie wir sie bei Tausenden von Landsleuten schon finden, bei Tausenden junger Menschen auch, die nur mehr auf dem Taufschein ihren Heimatort stehen haben, nicht aber im Herzen? Hier muß unser Wirken einsetzen: den Älteren unter uns, die noch das Bild der Heimat in ihrem Erinnern tragen, dieses Bild mit immer neuem Leben erfüllen, ehe es ihnen verschwimmt, die Jüngeren, die schon ferne der Heimat geboren sind, lehren, wo die Heimat ihrer Ahnen ist und in ihnen jenes Bild lebendig machen, das die andern als letzten Besitz gerettet haben. Gott lebt und sein Tag wird kommen.
Wir haben diese Worte oft gehört. Wie aber, wenn Gott an jenem Tag keine Menschen hat? Wenn ein ganzes Volk sein Recht Jahrzehnte verficht und am Tage der Erfüllung preisgibt? Nicht, wie wir heimkehren können, daß wir heimkehren wollen, wenn uns die Stunde ruft, darum geht es im ersten und weitesten Ring unserer Arbeit.

Die zweite Aufgabe, die aus der ersten wächst, gehört wie diese dem Bereich stillen Wirkens an. Heimat, das ist mehr als ein Stück Land, über das heute Fremde gehen. Heimat ist ein Unwägbares, Unfaßbares, ist alles, was die Menschen dort in Jahrhunderten ersannen und erträumten, bildeten und bauten, lebten und liebten. Ein reiches Erbe ist uns überkommen. Es zu bewahren ist uns in die Hand gegeben. Wir müssen es heimtragen eines Tages wie eine gerettete Krone, all das, was unser ist: die Lieder und Tänze der Heimat, die Trachten und die Bräuche und was unsere Großen schufen in allen Bereichen menschlicher Tat. Wir dürfen, wenn wir heimkehren, nicht als Fremde und mit leeren Händen kommen. Nicht als Fremde und nicht mit leeren Händen: damit ist vieles gesagt, das über das Augenfällige hinausgeht. Brauchtumspflege und Volkstumsarbeit sind nur ein Bezirk des menschlichen Lebens, auch des überpersönlichen Lebens naturgewollter Gemeinschaften. Es geht letztlich darum, Menschen zu bilden, die am Tag der Heimkehr in ihren beruflichen Fähigkeiten und ihrer menschlichen Prägung reif sind und den Aufgaben gewachsen sind, die dann an sie gestellt sein werden.
Dieser Tag wird, wenn je die große Einheit Gestalt haben soll, beides verlangen: das Eigene bewahrt zu haben und sich dem andern aufzutun, die Mitte zu finden zwischen der Aufgabe eigenen Werts und vermessenem Dünkel. Mit vollen Händen kommen heißt mit gebenden Händen kommen und mit bereiten Händen.

Die Charta der Heimatvertriebenen, das Grundgesetz unserer Volksgruppe, ist für uns ebenso bindend wie das Bekenntnis der Jugend, das erstmals am Sudetendeutschen Tag 1956 abgelegt und 1959 in Wien feierlich erneuert wurde, und die Botschaften, die wir alljährlich an die tschechische Jugend richten, geben vor aller Welt Zeugnis für unseren Willen zu Versöhnung und neuem, gemeinsamem Beginn.
Unser Recht für alle: Das bedeutet für uns mehr als eine bloße Einsicht, daß wir das Recht, das wir selber beanspruchen, auch den anderen zubilligen müssen; es bedeutet, daß wir im selben Maß, wie für unser eigenes Recht auch für das Recht der anderen eintreten, daß wir uns mitverantwortlich fühlen für eine künftige Ordnung, in der die freie Heimat ebenso Wirklichkeit ist wie ein geeintes Europa in einer Welt, die durch Recht zum Frieden gekommen ist.

Was aber können wir, die Jugend, dazu tun? Können wir denn überhaupt mehr tun als uns bereitmachen, eines Tages als Männer und Frauen für das Recht einzutreten? Ist es nicht genug, zu lernen, was wir zu tun haben, wenn die Reihe an uns gekommen ist, das Erbe unserer Eltern zu übernehmen und mit ihm ihre Aufgaben? Nein, es ist nicht genug, wir müssen etwas tun, und wir können sogar sehr viel tun, heute schon, jetzt und hier!

Auf einer Fahrt hatten wir zwei junge Australierinnen kennengelernt. Wir hatten mit ihnen getanzt und gesungen, waren gemeinsam durch die Stadt gezogen, und als wir nun in einem kleinen Raum der Jugendherberge saßen und der Führer unserer Gruppe Farbbilder vom letzten Sudetendeutschen Tag zeigte, war es, als hätten wir uns schon viele Jahre gekannt.
Wir bemühten uns zu übersetzen, was zu den Bildern gesagt wurde, und es gelang uns auch so recht und schlecht, aber in unserer Begeisterung merkten wir gar nicht, daß Namen, die uns von Kindheit an geläufig sind, dort unten in Australien keineswegs Begriffe sind, bis uns Margaret bat: "Ihr müßt uns erklären, was das ist: Sudetenland, sudetendeutsch, vertrieben ... "
So versammelte sich dann, als es wieder licht wurde, eine kleine Schar in einer Ecke und einer begann zu erzählen, erst stockend und nach Worten suchend, wer wir sind und was wir wollen, und wie alles Leid gekommen ist über das Land und seine Menschen. Immer wieder wurde er von verwunderten, ungläubigen Ausrufen unterbrochen: "Eight hundred years?" "More than three million people?" Es fiel uns wie Schuppen von den Augen. Da gab es Menschen, die glaubten, die Sudetendeutschen seien eine Handvoll Leute, die unter Hitler ins Land der Tschechen eingedrungen seien und die man im Jahre fünfundvierzig mit Fug und Recht wieder hinausgeworfen habe! Aber daß sie das glaubten, ist das ihre Schuld? Wenn Staatsmänner die Geschichte nicht kennen oder nicht kennen wollen, woher soll eine kleine Krankenschwester aus Box Hill, eine Kindergärtnerin aus Balldrat wissen, wie sich die Dinge wirklich verhalten? Wer hat ihnen je erzählt, daß zu einer Zeit, da die ersten Siedler nach Australien kamen, schon jahrhundertelang deutsche Bauern die Wälder Böhmens rodeten, deutsche Bergleute das Erz gruben, deutsche Mönche das Evangelium predigten?

Und ein zweitesmal fiel es uns nun wie Schuppen von den Augen. Wer soll es ihnen beibringen, wenn nicht wir? Haben wir nicht die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, den Mund aufzutun? Gebrauchen wir nur ruhig das große Wort:
Ist es nicht ein großer Auftrag, den jeder einzelne zu erfüllen hat? Was wir tun können, hat dieser Tag den Letzten gelehrt: nicht nur im Herzen bewahren, was unser ist, sondern hinausgehen auf die Straßen, in die Welt, nicht mit flammenden Parolen demonstrieren, sondern im Gespräch von Mensch zu Mensch sagen, was die Wahrheit ist. Und ein, solches Gespräch kann viele Früchte tragen. Nicht nur die Verleumdung, auch die Wahrheit wird weitergetragen von Mund zu Mund. Irene, das eine der beiden Mädchen, war still und nachdenklich geworden. Und dann sagte sie: "Ich werde alles daheim erzählen. Die Menschen wissen nichts von euch. Aber ich werde ihnen sagen, was ich hier gehört habe."

Wenn das einmal geschieht, ist es zu wenig. Aber wenn es hundertmal und tausendmal geschieht, werden wir endlich das Gewissen der Völker wecken. Die Mächtigen werden die Stimme nicht mehr überhören können, und der Tag der Heimkehr wird nahe sein.

Wir blieben beisammen, bis unser Zug abfuhr. Wir sprachen von der großen Gemeinschaft, die uns alle verbindet, die da unterwegs sind, die im Sommer ausziehen, um fremde Länder und fremde Menschen kennenzulernen. Wir können gar nicht genug Menschen kennenlernen, mit ihnen lachen, singen, tanzen und über die vielen Dinge reden, die uns alle angehen.

"To make friends", sagte eines der Mädchen. Vielleicht ist dieses Wort das schönste, das an jenem Tag gesprochen wurde, und wir verstanden es in seinem ganzen Sinn: Freunde machen -- uns die anderen, die Welt, zu Freunden machen, damit sie zu uns stehen, wenn es ihnen der Tag abverlangt.
Aber auch so: Freunde machen, aus Fremden, die vorübergehen aneinander, Freunde machen, in immer größere Kreise wachsen, ohne dem kleineren untreu zu werden.
Denn wir glauben: Die Jugend der Welt wird es einst sein, die löst, was heute noch aus alten Vorurteilen und Verstrickungen nicht zu lösen ist. In ihren Reihen wird die Jugend des Sudetenlandes stehen.



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