1939 wurde ich, Helfried Weyer, in Königsberg/ Pr geboren und 1945 nach Buxtehude vertrieben.
Sehr bald schon nach Krieg, Vertreibung und der Teilung unseres Landes baute mein Vater in
Buxtehude die örtliche Landsmannschaft Ostpreußen auf und zu den Alltagspflichten meines zwei Jahre
älteren Bruders und mir gehörten die Mitgestaltung von Weihnachtsfeiern, Heimattreffen und Gedenktagen
in Form von Gedichtsbeiträgen, Theaterspiel und Organisation.
Meine Mutter wurde schnell zur Regisseurin und ließ uns Jungen seitenweise Ernst Wiecherts Missa sine Nomine auswendig lernen und vor heimischem Publikum aufführen. Die starken Texte über Schuld und Sühne haben mich damals schon beeindruckt und deshalb sprach und spielte ich aus vollem Herzen. Vielleicht waren diese Übungen sogar ein Grundstein für meinen späteren Werdegang als beruflicher Vortragsredner für ein Millionenpublikum.
Mitglied der DJO zu werden, war für die Weyers eine Selbstverständlichkeit und 1958 trat ich in die
DJO-Jungenschaft, wurde Scharführer und leitete viele Jahre lang die Buxtehuder Gruppe. Gerne erinnere
ich mich an die unterschiedlichen Aktivitäten in jener Zeit:
Wir fuhren zu den regelmäßigen Pfingsttreffen der Ostpreußen, zum Ernteeinsatz nach Südtirol, in
unsere Landessommerlager und organisierten vor Ort Wettkämpfe mit anderen Jugendorganisationen: den
Pfadfindern und dem CVJM beispielsweise.
Das hat unseren Freundeskreis über die Schule hinaus erweitert und uns tiefe Einblicke in das
Denken und die Aufgabenstellung anderer Verbände gegeben.
Diese Zeit liegt nun ein halbes Jahrhundert zurück und durch ständige Weltreisen und viele Umzüge
sind die Ordner aus jenen Jahren verloren gegangen.
Nicht verloren ist aber bis heute der Geist jener aktiven Jungenschaftszeit -- und bis heute liegt
ein handgeschriebenes Liederbuch mit dem Titel Fahne und Zelt (so lautete auch der Titel einer
Beilage unserer Verbandszeitschrift, die ich mit vielen Fotos und Textbeitragen mitgestalten durfte),
mein Probenheft Nr. 4304 der DJO Jungenschaft und der braune Lederknoten mit den rot-weiß-rot
geflochtenen Vogtschnüren in meinem Schreibtisch.
Die Vogtprobe legte ich 1959 auf dem Heiligenhof ab vor den kritischen Prüfern Willi Scharf und
Klaus Großschmidt.
Natürlich möchte ich diese Zeit nicht missen und glaube, sie hat mich und uns alle lebenslänglich
geprägt.
Die Jungenschaft hat uns mit ihren Idealen und Aktivitäten zu selbstbewussten und kritikfähigen
Menschen erzogen, die lernten, sich tolerant und weitsichtig in Gemeinschaften einzufügen. Unter
weitsichtig verstehe ich auch die Tatsache, dass wir DJOler fest an die Möglichkeit einer deutschen
Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit glaubten, obwohl wir dafür von anders Denkenden mitleidig
belächelt wurden.
Viele Aktionen sind mir trotz der verstrichenen 50 Jahre bis heute in bester Erinnerung geblieben.
So z. B. unsere jährlichen Landesjungenschaftslager in Niedersachsen.
1960 durfte ich dieses Sommerlager bei Lüchow Dannenberg leiten und es geschah dabei unendlich
viel: der Wald in unserer Lagernähe brannte plötzlich lichterloh.
Ich bot Polizei und Feuerwehr die Hilfe von über 100 Jungenschaftlern an. Tagelang schlugen wir
Flammen aus, wurden dabei von den Einsatzkräften aus einer Gulaschkanone verköstigt und freundeten und
mit den erwachsenen und professionellen Helfern so an, dass die Feuerwehr nach getaner Arbeit zu uns
ins Lager kam und uns Jungen vom 15 m hohen Lagerturm in ihr Rettungstuch springen ließen.
Wir hatten einen französischen Gast im Lager, der hieß Manolo und meinte: „Eigentlich habe ich
Angst, aber wenn ich sehe, wie alle deutschen Jungen da runter springen, dann werde ich es auch
tun!“ Manolo sprang.
Solche Erlebnisse schweißen zusammen, nicht nur die Jungenschaft, sondern auch Polizei, Feuerwehr und ihre jugendlichen Helfer. Ich bin überzeugt, dass meine Jungen das Wort Bulle niemals im Leben in den Mund genommen haben.
In der Schule habe ich mehr von Sven Hedin, Roald Amundsen oder James Cook geträumt als vom Satz
des Pythagoras oder chemischen Formeln. Und gleich nach meiner Schulzeit konnte ich diese Träume
verwirklich.
Als Jungenschaftler war ich leidenschaftlich mit Wanderungen, Radtouren und Zeltnächten in
Berührung gekommen. Diese Erfahrung nutzte ich jetzt, setzte mich auf mein Fahrrad und radelte zehn
Monate lang durch Nordafrika. Anschließend fuhr ich mit einem VW-Käfer über Land bis in den Himalaya --
und bastelte mir einen Beruf daraus.
Als Fotograf und Journalist besuche ich bis heute zusammen mit meiner Frau Renate alle Kontinente
und berichte in Livevorträgen und Büchern darüber.
Unser Basislager bauten wir zunächst in Wetzlar auf. Aber immer, wenn wir nordwärts
fuhren, durch das flache Münsterland bis nach Niedersachsen, dann sahen wir unsere Wurzeln im hohen
Himmel des Nordens und in den besonders weißen Küstenwolken. Nach 30 Jahren Hessen zogen wir zurück
nach Buxtehude -- und wurden hier von vielen Freunden aus der alten Jungenschaftszeit freudig begrüßt.
Sie hatten uns ebenso wenig vergessen wie wir sie.
Heute sind wir alte Männer und Frauen, hocken aber immer noch gerne zusammen und sprechen von den
alten DJO-Zeiten.
Weihnachten 1959 hat mir Klaus Großschmidt ein bemerkenswertes Buch von Hans Venatier geschenkt:
Vogt Bartold -- Der große Zug nach Osten.
Als persönliche Widmung hat er da rein geschrieben: Werde, was du noch nicht bist. Bleibe, was
du jetzt schon bist. In diesem Bleiben und in diesem Werden liegt alles Große hier auf Erden.
Solche Weisheiten habe ich immer geliebt und auch ernst genommen, vielleicht bin ich deshalb bis heute im Herzen Jungenschaftler geblieben.
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