Fritz Jeßler

Musikalischer Vater und singender Zaubermann

Es gibt in unserem Leben nur wenige Menschen, die uns prägen, die uns zu dem machen, der wir wirklich sind. Menschen, die Begabung wecken, die das Beste aus uns herausholen, die begeistern, ein inneres Feuer weitergeben. Mentoren, Vorbilder, im besten Sinne Lehrer.
Der Musiker Fritz Jeßler, der am 5. Juni in München mit 90 Jahren verstorben ist, war einer dieser Menschen. Ein Charismatiker, mit beiden Beinen auf den Boden stehend, beseelt von einer inneren Lebensmelodie.

An drei Generationen hat er als Chorleiter und Komponist über sechs Jahrzehnte sein inneres Feuer weitergegeben: in Liedern, Texten, in der Art, das Leben mit musikalischen Ritualen zu gestalten, mit unbändiger Lebensfreude und Humor.

Fritz Jeßler, geboren am 29. September 1924 in München, aufgewachsen in Bayern mit einer überaus musikalischen Mutter, im Zweiten Weltkrieg eingezogen als junger Soldat, beschäftige sich von früh auf mit Klang, Worten und Zeichen.

Er wurde am Ende des Krieges im Brotberuf Lehrer für Taubstumme; später war er Konrektor des Berufsbildungswerkes München für Hör- und Sprachgeschädigte des Bezirkes Oberbayern. Als Gründer und Leiter des Münchner Chorkreises, der Arnsberger Singwoche, der Heiligenhofer Ostersingwoche und des Weihnachtssingens in Bad Kissingen war er eine zentrale Figur der sudetendeutschen Kulturarbeit und der Weitergabe von Musik und Poesie aus dem böhmisch-mährischen und osteuropäischen Kulturraum.
Er bewegte sich ganz selbstverständlich zwischen Laien- und Profimusik, nahm mit dem Münchner Chorkreis und Mitgliedern des Bayerischen Rundfunkorchesters Schallplatten auf, moderierte unzählige Offene Singen und ging auf Konzertreisen im In- und Ausland.
Er wurde unter anderem ausgezeichnet mit dem Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland, der Goldmedaille des Grand Concours International der Académie Internationale de Lutèce, der Adalbert-Stifter-Medaille der Sudetendeutschen Landsmannschaft, dem Ostdeutschen Kulturpreis der Deutschen Jugend in Europa und dem Valentin-Becker-Preis.

Fritz Jeßler zog ganze Familiendynastien musikalisch heran, bildete Lehrer und Kulturschaffende als Multiplikatoren weiter. Von ihm inspiriert und ausgebildet fanden viele junge Menschen den Weg in musische Berufe, da sie durch ihn ihre Berufung entdeckt hatten, sie wurden Musiklehrer, Musiktherapeuten, Musikjournalisten. Das, was heute in der Bildungspolitik so forciert wird -- frühe Beschäftigung mit Musik in der Schule, Musikcamps -- praktizierte Fritz Jeßler ganz selbstverständlich schon seit den fünfziger Jahren.
Die Faszination, die von seinen Singwochen ausging, überstand alle gesellschaftlichen Veränderungen und Lebensweisen von 1957 bis 2015.
Seine Liedsätze und Kantaten mit dem Jeßler-Sound prägten und prägen den Jahreskreis aller Laienmusiker, die mit ihm über Jahrzehnte arbeiten durften. Er schenkte ihnen mit Werken wie der Kleinen Osterkantate, der Liedkantate . . . und jauchzet ohn‘ Ende und dem Kleinen Sündenregister einen inneren Schatz, der sie fortan immer begleitete.

Mit seiner geliebten Frau Liselotte und den beiden Töchtern Gabriele und Astrid formte er einen familiären Kreis der Singwoche. Den Teilnehmern vermittelte er, ohne viele Worte zu verlieren: Du giltst etwas -- egal, wie klein oder groß, dick oder dünn, wie arm oder reich du bist -- komm, sing mit, hol‘ dein Instrument!
Stand Fritz Jeßler vor seinen Chören, wurde eine Ansammlung von Männern und Frauen zu einer Gemeinschaft. Er formte jeden einzelnen und machte dabei eine disparate Gruppe zu einem harmonischem Ganzen. Stimmbildung vermittelte er auf spielerische Weise, ebenso wie Lebensläufe von Komponisten und musikalische Stile verschiedener Jahrhunderte.
Auch Kinder lernten neben den Eltern im Chor selbstverständlich stundenlang stillzusitzen, wuchsen in seine Musik hinein. Denn sie lauschten gerne diesem singenden Zaubermann. Fritz Jeßler war eine Naturgewalt, ein bayerisches Original im besten Sinne. Sein Wortwitz und sein Humor gaben manchen Proben den Charakter eines spontanen Kabaretts, bei dem die Sänger mitmachten.
Immer wieder unterbrach er die den ganzen Tag ausfüllende, oft anstrengende Probenarbeit mit dem Erzählen von Anekdoten aus seinem Leben.
Dass Musik lebenswichtig, gar überlebenswichtig sein kann, davon erzählte er, der durch die Musikalität seiner Mutter geprägt worden war, immer wieder. Gerade die jüngere Generation beeindruckten seine Erzählungen aus dem russischen Kriegsgefangenenlager: Fritz schilderte sehr plastisch, wie er während seiner fünf Jahre währenden Gefangenschaft mit den Mitgefangenen zwischen Leben und Tod immer wieder musizierte, um diese extreme Zeit durchzustehen.
Diese Lebenserfahrungen, gepaart mit seiner tiefen Güte, seiner schöpferischen Kraft, verwandelte er mit Feingefühl in seinen Kompositionen.

Melodien waren bis zu seinem Tod in ihm und um ihn.
Er komponierte bis in die letzten Lebensjahre, die gezeichnet waren von Krankheit und körperlicher Mühsal, an der Seite seiner auf das engste mit ihm verbundenen Frau Liselotte, umsorgt von seinen Töchtern.
Seine Tochter Astrid Jeßler-Wernz führt seit 2008 das Erbe des Vaters als Leiterin des Heiligenhofer Ostersingens und des Adventsingens weiter.
Wie sehr Fritz Jeßler geschätzt, verehrt, geliebt wurde, sah man zum letzten Mal beim Frühlingssingen im Mai im Sudetendeutschen Haus, zu dem er mit Rollator-Unterstützung gekommen war. Er freute sich in der ersten Reihe über die Aufführung seiner Kompositionen, die heftig beklatscht wurden. Er war der musikalische Vater von vielen.
Im Gedenken an ihn singen in diesen Tagen sicher viele seiner Freunde, Schüler und Gefährten im Geist seine Komposition: Ich schreite durch dies Leben nur einmal, darum: alles Gute, was ich tun kann, alles Beglückende, was ich einem Mitmenschen erweisen kann, lass mich heute tun. Lass mich dies nicht aufschieben, lass mich dies nicht versäumen, denn ich gehe meinen Weg nie wieder.



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