Dr. Hans Christ

kurz

Dr. Hans Christ (1914 bis 1985), Dichter und Schriftsteller ungarndeutscher Abstammung.

Mitglied der Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn, Führer der DJO-Bundesgruppe Ungarndeutsche;
von 1953 bis 1956 Sprecher der landsmannschaftlichen Bundesgruppen in der Bundesführung der DJO;

von 1956 bis 1958 stellvertretender Bundesführer der DJO.



Die Zeitschrift: DER DONAUSCHWABE veröffentlichte am 2. Februar 1986 den folgenden Nachruf:


Dr. phil. Hans Christ,

Dichter und politischer Schriftsteller, trat von der Lebensbühne ab

Wir griffen gläubig nach den neuen Fahnen,
Wir traten reinen Herzens in den Kreis,
Nur manchmal traf es uns wie dunkles Ahnen,
Auf das man keine rechte Antwort weiß.

Das Spiel ist aus, der Vorhang fällt.

(Generationen zwischen den Zeiten. In dem Gedichtbändchen „Ich suche Neuland“ von Hans Christ.)

Die letzte zitierte Zeile erinnert mich an den (angeblich) letzten Ausspruch Beethovens Plaudite amici, coemedia finita! (Klatscht Freunde, die Komödie ist zu Ende.) Jaja, Dichter und große Geister sterben anders als die Gewöhnlichen. Sie haben auch einen anderen Sprachgebrauch als die gewöhnlich Sterblichen und nennen das Leben sogar eine Komödie, freilich in einem überirdischen Sinn. Woran Dr. Hans Christ gedacht haben mag, als ihn Freund Hein am 15. Dezember 1985 nach einem Kirchgang in seiner Endersbacher Wohnung (nahe Stuttgart) überraschte und seinem Leben (durch Herzinfarkt) ein jähes Ende setzte, wissen wir nicht. Die Todesnachricht traf seine Freunde überraschend, obwohl Dr. Christ in den letzten Jahren wiederholt das Spital aufsuchen musste. Und in der Tat, mit Hans Christ ist eine der intelligentesten und ausnehmendsten Gestalten des Donauschwabentums von der Lebensbühne getreten.


Ein nicht geahnter Aufstieg

Selbst auf Tagungen landauf-landab von Norden bis Süden und von Westen bis Osten herumgekommen, wurde mir von Tagungsteilnehmern wiederholt die Frage gestellt: Sie sind aus Ungarn? Kennen Sie Dr. Hans Christ? -- Natürlich. Das ist ein Gradmesser Dr. Hans Christs in den höheren bundesdeutschen Regionen. Denn sein Bekanntheitsgrad reichte -- infolge seiner politologischen Tätigkeit -- nach allen Himmelsrichtungen, ja weit über die Landesgrenzen hinaus in die europäische Sphäre. Soweit hatte es der am 30. November 1914 in Mekényes (Stockbrunn) in der Branau geborene Bauerbursche gebracht. Und da tauchen in meinen Erinnerungen Bilder von der Bude der Suevia Budapestina in der Ofenpester Müllergasse Nr. 20 aus den 1935er bis 1936er etc. Jahren auf, als der Bauerbusche Hans Christ mit seinesgleichen zum ersten Mal in Diskussionen die politische Bühne betrat. Er fiel durch seine Schlagfertigkeit und Intelligenz sofort auf. Er wagte sich bereits ans Dichten und Schriftstellern heran. Aber wer hätte damals schon gedacht, dass er in kommenden Jahren in der politischen Erwachsenenbildung in zwei Bildungszentren der Bundesdeutschen und Europäer aus den Nachbarländern eine Leuchte werden würde?


Hans Christ, der Jugendführer

In dem durch den Gewaltfrieden von Trianon geschaffenen Rumpfungarn gab es zu Lebzeiten Jakob Bleyers keine Jugendbewegung. Die Jugend wurde durch die Schule und die paramilitärische staatliche Levente-Jugend beherrscht. Die schwäbische Jugend war vom Ungarländischen Deutschen Volksbildungsverein (UDV) ausgeschlossen. Erst um 1935 trat hier eine entscheidende Wende ein. Einer, der diese entscheidende Wendung herbeigeführt hatte, war Hans Christ. Man begann, die Bauerjugend zu organisieren und durch Schulungen zu erfassen. Da Hans Christ selbst Bauerbursche war, hätte man keinen geeigneteren Jugendführer finden können, als ihn, ganz abgesehen von seinen rhetorischen Fähigkeiten. Das imponierte. Darüber berichtete er in der Rückschau in der von Gerhard Albrich, Hans Wolfram Hockl und von ihm redigierten und vom Ostdeutschen Kulturrat in Bonn herausgegebenen Deutsche Jugendbewegung im Südosten (Bielefeld 1969. 159 Seiten) recht anschaulich. (Deutsche Jugendarbeit in Ungarn 1918 – 1938. Seite 107 -119.)

Er skizziert darin drei Generationen. Er und seinesgleichen gehörten zur dritten Genration. Es war jene Generation, welche die Wandlung vom Schwaben zum Deutschen vollzogen hat. Diese Generation sei es gewesen, die im zweiten Weltkrieg in deutschen Einheiten gekämpft habe, aber nicht, weil sie ideologisch engagiert gewesen sei, sondern weil sie wusste, wohin sie letzten Endes gehörte. Diese Generation sei es auch gewesen, die mit der madjarischen Jugend zu einem Du-auf-Du-Verhältnis zu kommen entschlossen war. Darin spricht Hans Christ klar aus, dass volksdeutsch nicht mit nazistisch gleichgesetzt werden kann. Auch an vielen anderen Stellen des Buches ist die Handschrift Hans Christs deutlich zu erkennen.


Hans Christ, der Dichter und Europäer

1964 trat Hans Christ mit dem Bändchen Ich suche Neuland. Lyrik und Prosa aus der Kriegs- und Nachkriegszeit an die Öffentlichkeit. Der Haupttitel ist der Titel eines Gedichtes. Das Büchlein habe er zur Standortbestimmung seiner Generation herausgegeben. Vieles sei darin nur angedeutet. Einiges müsse zwischen den Zeilen gelesen werden. Seine Harfe habe gesprungene Saiten. Darum bitte er Leser und Kritiker um Nachsicht. Dann folgt gleich sein Grundsatzartikel Zwischen Vater- und Mutterland. Volksdeutsches Schicksal in Ungarn. Dass er im nachfolgenden Lyrik und Prosa mischt, war ein guter Einfall. Es ist schwer, sie unter einen Nenner zu bringen. An die Spitze stellte Dr. Hans Christ Heimaterinnerungen: Schwäbische Türkei, Mein Heimatort und Mein Elternhaus. Das letzte in die kleine Sammlung aufgenommene Gedicht ist ein Epilog über die Trauernden und Satten. Das Bändchen enthält Perlen echter Lyrik, aber auch Proben der Moderne, besonders in formaler Hinsicht.

Hans Christ, der nach dem Begabtenabitur in München in Erlangen studierte, hatte ebenda Univ.-Prof. Dr. Hans Joachim Schöps, einen Juden und Verteidiger Preußens, zum Doktorvater. Hier wurde sein Sinn für die großen historischen Zusammenhänge, vor allem der Gegenwart, geschärft. Diese hießen EUROPA: Dies war für ihn kein Zauberwort, sondern ein Angelpunkt seines politischen Handelns. Dieses sein Engagement führte ihn zuerst in den Direktorensessel des Europahauses in Marienberg im Westerwald und dann in die Evangelische Akademie (VHS) nach Alexanderbad im Fichtelgebirge. Zwei Bücher haben ihm dazu den Weg geebnet: Die Rolle der Nationen in Europa. Gestern - heute - morgen? Ein Diskussionsbeitrag zum Thema Europa, aber wie? Und: Die Elite in der modernen Gesellschaft. Die mit politischer Bildung beauftragten und befassten bundesdeutschen Stellen sind voll des Lobes über beide Publikationen. Denn diese sind als Leitfaden einer politischen Bildungsarbeit gedacht, hervorgegangen aus der praktischen Tätigkeit ihres Verfassers. Der Süddeutsche Rundfunk meinte sogar, dass man Die Rolle der Nationen in Europa zu einer Pflichtlektüre in den Schulen machen sollte. Und zur Elite in der modernen Gesellschaft heißt es im Klappentext des Stuttgarter Fink Verlages: Der Verfasser gehört jener Generation an, die heute etwas vereinsamt zwischen Großvätern und Enkeln steht, einer Generation, die darum ringt, ihre mannigfaltigen Erlebnisse in Erkenntnis und in Aktion umzusetzen. Zum Lyrikbändchen heißt es ebenda: Die Aufzeichnungen von Hans Christ sind zugleich Zeugnis und Bekenntnis der Deutschen des Südostens, die dort vertrieben wurden, sich aber hier mit der Welt des Wirtschaftswunders nicht zufriedengeben können.


Erbe und Auftrag

Zum Gesamtbild der Würdigung Dr. Hans Christs gehört schließlich seine Rolle innerhalb des ungarländischen Deutschtums aus dessen Schoß er hervorgegangen ist. Als Mitglied der Suevia Pannonica. Vereinigung Ungarndeutscher Akademiker war er maßgeblich an deren Ausgestaltung beteiligt. Kurz vor seinem Tode wurde er auf dem Konvent in Gerlingen zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Das Archiv der Suevia Pannonica Jg.3 (13) 1985 wurde zu seinem Abgesang. Namentlich ist sein Artikel Erlebtes Zeitgeschehen mit dem Untertitel Erinnerungen an Ereignisse und Eindrücke vor und um den 8. Mai 1945. Der Artikel ist ein Zeitspiegel im Allgemeinen. Hans Christ hatte da die Finger am Pulsschlag der sich überstürzenden Ereignisse. Das Pendel schlug nach allen Seiten aus. Es war miterlebter Weltuntergang in Prosa und Lyrik.

Am 21. Dezember 1985 sammelte sich in Kernen (Rommelshausen) eine große Schar von Freunden und Landsleuten (weit über hundert) um den ewig Suchenden, wie ihn Prodekan Friedrich Spiegel-Schmidt in der Aussegnungshalle u.a. charakterisierte, das letzte Geleit zu geben. Es war ein herrlicher sonniger Tag. Die umliegenden Rebenhänge erstrahlten in ihrem satten Grün, als ob es noch Frühling wäre. Für Hans Christ war es Herbst geworden, aber sein Erbe heißt Hoffnung über das Grab hinaus. Und die Hoffnung lässt einen nach der Bibel nicht zuschanden werden.
 

Dr. Anton Tafferner
 


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