Das Licht der Welt erblickte ich 1922 in Komotau.
Nach Besuch der Volksschule, absolvierte ich das Staatsrealgymnasium, wo ich 1941 maturierte.
Nach Ableistung des Reichsarbeitsdienstes und des darauf folgenden Kriegshilfsdienstes begann ich mein
Studium ab Sommersemester 1942 an der Karlsuniversität in Prag. Dort belegte ich die Fächer Geschichte, Geografie
und Deutsch. Am 5. Mai 1945 schrieb ich mich noch für das 7. Semester ein.
Aber dann mussten wir uns beeilen.
In Prag begann bereits die Revolution, als ich mit dem letzten Zug in Richtung Komotau die Stadt verließ.
Wie viele meiner Altersgruppe gehörte auch ich dem Deutschen Turnverein DTV 1864 in Komotau an. Zuerst ab 10
Jahre als Turnschülerin, dann ab 14 Jahre als Jungturnerin.
Wir hatten wöchentlich eine Turnstunde und einen Heimabend, in dem vorgelesen und gesungen wurde. Themen
waren Ereignisse der sudetendeutschen Geschichte und das Leben großer Landsleute.
Für uns Junge sah die Zukunft in der CSR hoffnungslos aus. Tschechisierung und Diskriminierung der Sudetendeutschen gehörten zum Alltag.
So stand auch ich am 9. Oktober 1938 in der jubelnden Menge, die die Deutsche Wehrmacht bei ihrem Einmarsch in Komotau mit Blumen begrüßte.
Es erfolgte die Gleichschaltung der sudetendeutschen Verbände mit denen des Altreiches. So wurde aus mir,
der Jungturnerin das BDM-Mädchen.
Wir fühlten uns aber als Fortsetzung der Turnerjugend und waren froh diesen csl. Staat los zu sein.
Nur 11 Monate nach dem Anschluss begann der 2.Weltkrieg. Neben den kriegsbedingten Einschränkungen
merkte ich in Prag wenig vom Krieg.
Den Tschechen ging es in vielerlei Hinsicht besser als im Reich. Eine bessere Versorgung, keine Wehrpflicht
und keine Bombadierungen.
Mai 1945. Verlauf wie wohl in allen sudetendeutschen Familien:
Plünderungen, tägliche Hausdurchsuchungen, Vater im Gefängnis, nach Freispruch (auch das gab es!)
eingesperrt im KZ Striemitz bei Brüx.
Mein Bruder nahm mit 14 Jahren nach dem Massaker am Jahnspielplatz teil am Todesmarsch ins KZ Maltheuern.
Auch ich stand mit den Komotauer Frauen von 15 bis 50 Jahren für ein Zwangslager bei Kladno abführbereit
am Jahnspielplatz, da konnte ich ihnen durch einen Trick entwischen.
Am 5. 7. wurden wir um 1/2 5 durch Kolbenschläge an die Haustür geweckt:
"Haben Sie halbe Stunde Zeit, nemmen Sie, was Sie tragen kennen, Schlüssel, Geld und Wertsachen auf den
Tisch!" Nur 200 RM durften wir mitnehmen.
Zwei Tage im Lager am Exer, dann Fahrt in Kohlenwagen zum Grenzübergang nach Reitzenhain, dann
Fußmarsch nach Rübenau und schließlich vorläufige Endstation in einer Sägemühle bei Pockau.
Es schien ein Idyll: Russenbaracken zwischen rauschendem Bach und duftenden Fichtenstämmen. Aber dann kam
die Nacht -- und es regnete: Wanzen, jede Menge! Entweder verzweifeln oder knacken!
Wir entschlossen uns fürs Knacken und machten einen Wettbewerb daraus (mein Rekord: 49 Stück pro Nacht!).
Die mangelhafte Verpflegung und die Sorge um unsere Männer gebar eine Schnapsidee: Wir wollten über
die Grenze zurück nach Komotau, um Nachschub zu holen und etwas über sie in Erfahrung zu bringen.
Da wir die Wege in dieser Gegend des Erzgebirges einigermaßen kannten, gelang uns der mehrstündige Fußmarsch
nach Komotau. Mit Nachrichten und Lebensmitteln vollbepackt erfolgte auch die glückliche Rückkehr.
Unser Abenteuer sprach sich herum und plötzlich hatte ich einen neuen Beruf: Schleuser.
Noch siebenmal führte ich dieses Unternehmen durch mit Leuten, die noch Wichtiges über die Grenze bringen
wollten.
Auch diese Epoche ging vorüber, da wir weiter ins Landesinnere verfrachtet wurden. Meine Mutter und ich
landeten in Herold im Kreis Annaberg, und zwar in einer ganz guten Unterkunft, sodass wir uns wieder als Menschen
fühlen konnten.
Wir suchten und fanden auch sofort Arbeit in einer Leinenzwirnerei.
Vater und Bruder wurden, nach Entlassung aus dem KZ im Sommer1946 nach Thüringen vertrieben.
Mein Vater floh im Herbst 1946 in die britische Zone und bekam als Telegrafeninspektor eine Stelle in
Recklinghausen. Mein Bruder zog von Thüringen dann zu uns nach Herold.
Durch eine Zuzugsgenehmigung verließen wir im Juni 1947 Sachsen in der SBZ und übersiedelten nach Recklinghausen. Hier fanden wir endlich einen Ruhepunkt, um die weitere Zukunft zu planen.
An ein Weiterstudium war vorerst nicht zu denken. Heimkehrer hatten Vorrang.
Ich musste mir vorläufig eine Beschäftigung suchen. Ich arbeitete als Strickerin für ein
Handarbeitsgeschäft.
Dann kam die Währungsreform, mein Erspartes wurde auf 10% abgewertet, aber es wurden dadurch auch plötzlich
Studienplätze frei. Ich konnte weiterstudieren und mein Studium abschließen.
Die Referendar- und anschließenden Assessorjahre absolvierte ich in mehreren Städten Ostwestfalens. Wurde
sesshaft in Barntrup/Lippe und baute dort ein Haus.
In Vlotho bekam ich eine feste Stelle als Studienrätin und wurde 1985 als Studiendirektorin -- Fachfrau für
Erdkunde -- pensioniert.
Frei und ledig habe ich mir auf über 30 Reisen die Welt angesehen, von Peru bis Australien, vom Nordkap bis
zum Kap der guten Hoffnung habe ich keinen Erdteil ausgelassen.
Mehrere Reisen mit dem Wohnmobil führten mit der Familie meines Bruders in die USA und nach Alaska, Kanada,
Namibia und Botswana.
Schon 1949 begannen sich die vertriebenen Sudetendeutschen im Ruhrgebiet in der Sudetendeutschen
Landsmannschaft (SL) zu organisieren. Damit verbunden entstand auch die Sudetendeutsche Jugend (SdJ) in NRW.
In Herne rief Hans Kreibich eine SdJ-Gruppe ins Leben.
Mein Bruder und ich waren bald deren aktive Mitglieder. Heimabende, Faustball, Wanderungen und die
Gestaltung von Festen der SL war unser Arbeitsprogramm.
Wir alle waren begeistert und wurden eine feste Gemeinschaft.
Die SdJ-Gruppen NRWs schlossen sich zur Landesgruppe zusammen.
Mit Willi Schultes als SdJ-Landesgruppenführer war ich dann bis 1957 als Landesmädelführerin aktiv. Dabei
oblag es mir, die Teilnehmer in Lehrgängen und Lagern mit meinem Fachwissen in Geschichte und Geografie zu
bereichern.
Die gleiche Aufgabe habe ich auch in der Hauptjugendführung der SdJ wahrgenommen.
In einer Vielzahl von Lehrgängen des Bundes, vor allem am Heiligenhof in Bad Kissingen wurde die
Ostkunde -- das geschichtliche und geografische Wissen um die verlorene Heimat -- durch mich vermittelt.
Das trug mir den Ehrentitel Tante Ostkunde ein.
Auch die Mitarbeit bei der Erstellung von Arbeitsmaterial für die Gruppenarbeit und bei den Grundheften gehörte zu meinen Aufgaben.
Bis 1957 waren Trude Derschmidt und ich unter Gretl Hajek als Bundesmädelführerin ihre Stellvertreterinnen.
Noch eine Aufgabe hätte ich bald vergessen:
Auf mehreren Bundesschilagern, vor allem bei den Mädellagern auf der Ahornalm, fungierte ich als
Schilehrerin.
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