Walli Richter

Walli Richter, frühes Foto

Der norddeutsche Dichter Gorch Fock schrieb einmal: Die Heimat ist der Schlüssel zur Seele eines Menschen. Und dann gibt es Menschen, die der Schlüssel zur Seele ihrer Heimat sind. Zu diesen Menschen gehört Walli Richter.

Geboren 1935 in Oberleutensdorf im Kreis Brüx. Ihr Lebensweg führte wie der von hunderttausenden Landsleuten über viele Stationen bis in die neue Heimat München. Die Richters waren eine angesehene Familie, der Vater war Bürgermeister. Verantwortungsvolles, politisches und soziales Handeln lernte Walli Richter und ihre drei Schwestern schon im Elternhaus kennen. Die Familie kam nach der Flucht 1945 illegal über die Grenze nach Bayreuth in ein Notlager. Der Vater wurde interniert und war dann bis 1951 arbeitslos. Die Mutter blieb mit den drei Schwestern allein in Bayreuth. Bereits 1947 war Walli Richter der Jugendgruppe des Sudetendeutschen Hilfs- und Kulturvereins Bayreuth beigetreten, aus dem sich später die Sudetendeutsche Landsmannschaft am Ort entwickelte. Nach der Volksschule schloss sie die Höhere Handelsschule mit der Mittleren Reife ab.

1951 übersiedelte die Familie nach Dinkelsbühl. Hier setzte Walli Richter ihre Ausbildung beim Amtsgericht fort und schloss sich wieder der dortigen Sudetendeutschen Jugend (SdJ) an. Der Sudetendeutsche Turntag im Sommer 1951 in Dinkelsbühl und das damit verbundene SdJ-Zeltlager führte Walli mit den damals Verantwortlichen in der SdJ-Führung zusammen. Mit der späteren SdJ-Bundesmädelführerin Gretl Hajek verband sie bald eine enge Freundschaft. 1953 wurde Walli Bezirksmädelführerin von Mittelfranken.

Seit 1952 war der Heiligenhof in Bad Kissingen als Sudetendeutsche Heimstätte europäischer Jugend zum Mittelpunkt der Jugendarbeit und auch von großer Bedeutung für die Vertriebenenarbeit insgesamt geworden. Dort wurde unter dem Vorsitz Rudolf Lodgman von Auen der Verband der Landsmannschaften gegründet und damit der landsmannschaftliche Gedanke als Fundament der Arbeit der Vertriebenen durchgesetzt.

Für die SdJ-Bundesgeschäftsstelle und die vielfältige Arbeit auf dem Heiligenhof wurden Mitarbeiter gesucht. 1954 kam Walli Richter als Angestellte dorthin. Sie leitete die SdJ-Gruppe in Bad Kissingen. Bald gehörte Walli als Lernende und Lehrende der Bundesführung der SdJ an, in der sie von 1958 bis 1965 als Bundesmädelführerin die Verantwortung für die Mädchenbildungsarbeit der SdJ und der DJO (Deutsche Jugend des Ostens) trug. Aufgrund ihrer vielseitigen Ausbildung und ihrer Fähigkeiten, verbunden mit klar analytischem Denken, konnte sie in der Mädchenbildungskommission im Deutschen Bundesjugendring ihre Erfahrungen in der praktischen Jugendarbeit einbringen.

1960 übersiedelte Walli Richter mit der SdJ-Bundesgeschäftsstelle nach München. 1965 wechselte sie nach kurzer Tätigkeit beim Aufstieg-Verlag zum Studentenwerk München. Ehrenamtlich organisierte Walli mehrere Volkstumsabende, darunter zwei Veranstaltungen in der Wiener Stadthalle zu den Sudetendeutschen Tagen 1976 und 1978. In diesen Jahren musste Walli Richter viele Schicksalsschläge hinnehmen. Der Tod des Vaters und der zwei Schwestern, danach auch der Tod des Schwagers brachten viele Sorgen und Probleme. Walli festigte den Kontakt zu den drei Kindern der Schwester, die bald nach München kamen. Den jüngsten Sohn nahm sie in ihren Haushalt auf.

Von 1979 bis 1984 war Walli Richter als Landesgeschäftsführerin beim Bund der Vertriebenen in Bayern tätig. Nebenbei baute sie damals mit Dr. Fritz Wittmann das Büro der Sudetendeutschen Stiftung auf. Die Einführung der Ostdeutschen Kulturtage in Bayern und der Auf- und Ausbau einer landesweiten Aussiedler Betreuung mit sozialer Beratung waren zum Teil ihr Werk. Mit dem Bezug des Sudetendeutschen Hauses in München im Januar 1985 wechselte Walli Richter wieder in eine Anstellung bei der Sudetendeutschen Landsmannschaft: Sie wurde hauptamtliche Kulturreferentin. In dieser Aufgabe war sie mitverantwortlich für Tagungen des Sudetendeutschen Kulturrates, für die Organisation der Preisverleihungen, für die Herausgabe von Arbeitsbriefen, für die kulturelle Breitenarbeit, für die Organisation und Gestaltung von Volkstumsabenden sowie für die Entwicklung der Heimatlichen Werkstätten bei Sudetendeutschen Tagen und für die Gestaltung von Volksmusiksendungen und Veranstaltungen im Sudetendeutschen Haus.

Ihre schriftstellerischen Fähigkeiten konnte Walli Richter seit damals in der Sudetendeutschen Zeitung, in Zeitschriften wie Bayerland, Schönere Heimat und in Schriften zur Vertreibung und zur Kulturarbeit sowie als Mitautorin bei verschiedenen Anthologien unter Beweis stellen. Besondere Beachtung fand das Buch Letzte Tage im Sudetenland, das sie herausgab und das mit über 20.000 verkauften Exemplaren große Verbreitung fand. In dieser Zeit und später erreichte Walli Richter Aufmerksamkeit mit mehr als 200 Sendungen im Bayerischen Rundfunk und im Westdeutschen Rundfunk über die politischen und sozialen Probleme der Aussiedler und über die Kultur der Sudetendeutschen.

Einer der Höhepunkte ihrer Tätigkeit in der Volksgruppe aber sollte die Beauftragung als Heimatpflegerin der Sudetendeutschen werden. Von Januar 1988 bis Dezember 1998 nahm sie diese Aufgabe wahr. Sie baute diese Stelle auf und aus. Zahlreiche Verbindungen zu Partnern in der bayerischen Heimatpflege waren eine Folge. Insbesondere mit dem Bayerischen Landesverein für Heimatpflege arbeitete sie eng zusammen. So entstanden gemeinsam mit der Abteilung Volksmusik eine CD Sudetendeutsche Volkstänze und die dazugehörige Volkstanzmappe. Eine große Trachtenausstellung im Sudetendeutschen Haus wurde gemeinsam mit dem Landesverein durchgeführt. Walli Richter war auch die Initiatorin der Heimatpflegerfahrten nach Böhmen, Mähren und Schlesien, die den bayerischen Heimatpflegern die Heimat der Sudetendeutschen nahe brachte. Viele gute und fortdauernde Kontakte sind daraus entstanden.

In der Volksgruppe baute Walli Richter Facharbeitskreise auf, stellte Dokumentationen zusammen, führte Ausstellungen und Forschungsaufträge durch. Die Entwicklung der Schriftenreihe sudetendeutscher Heimatpflege gehörte auch dazu. In diesem Bereich war sie in ihrem Element. Sie war es auch, die seit 1990 die neuen Gruppen in Mitteldeutschland unterstützte. Auch die neuen deutsch-tschechischen Begegnungsstätten in der Tschechischen Republik unterstützte sie auf vielfältige Art und Weise. Ebenso half sie den neu gegründeten Gruppen des Verbandes der Deutschen in Böhmen, Mähren und Sudetenschlesien. Als Walli Richter am 31. Dezember 1998 ihre Berufstätigkeit beendete, konnte sie ihrer Nachfolgerin nicht nur eine geordnete Geschäftsstelle, sondern auch Dokumentationsmaterial aus vielerlei Bereichen sowie gute Verbindungen zu verschiedenen bayerischen Institutionen übergeben.

Bereits im November 1997 war Walli Richter zur Bundesfrauenreferentin in der SL gewählt worden. Ihr gelang es, der Frauenarbeit in der Landsmannschaft jenen Stellenwert zu verschaffen, der den Frauen in der Volksgruppenorganisation entsprach und zusteht. Selbst eine schwere Erkrankung konnte sie nicht davon abhalten, als Bundesfrauenreferentin ihre Aufgaben wahrzunehmen und im Bundesvorstand der SL die Frauen zu vertreten. Die bei den Sudetendeutschen Tagen abgegebenen Erklärungen der Frauen trage ihre Handschrift. Ihr Mitwirken im Deutsch-Tschechischen Forum der Frauen und im Deutschen Frauenrat weist den Weg in die Zukunft.

Auszeichnungen unterstreichen den Wert und die Bedeutung ihrer Arbeit: das Bundesverdienstkreuz, der Sudetendeutsche Volkstumspreis, ein Anerkennungspreis der Bayerischen Volksstiftung, die Sozialmedaille des Bayerischen Arbeits- und Sozialministeriums und des Bezirks Oberbayern.

Viele Landsleute wünschen Walli Richter für das neue Lebensjahrzehnt viel Kraft und die erforderliche Gesundheit. Ich danke für über 50 Jahre kameradschaftlichen Miteinanders, viele Anregungen, manches Mitleiden und das Wirken an verantwortlicher Stelle. Walli Richter hat sich um unsere Volksgruppe verdient gemacht.

Walli Richter starb am 03. April 2020 nach schwerer Krankheit in München.



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