Hans-Günther Fleischmann

Sein Vermächtnis
Hans-Günther Fleischmann

Bei der geistigen Auseinandersetzung mit diesem Auftrag an Menschen aller Altersstufen mit sudetendeutschen Wurzeln führten meine Gedanken zurück in das Jahr 1969. Beim Sudetendeutschen Tag in jenem Jahr in Nürnberg wurden im Angesicht des Prager Frühlings 1968 und der anschließenden Besetzung der Tschechoslowakei durch die Truppen des Warschauer Paktes am 21. August desselben Jahres ähnliche Hoffnungen thematisiert, die wegen des grausamen Geschehens in unserem Nachbarland im Keim erstickt wurden. Dazu gehörte auch die Selbstverbrennung des Studenten Jan Palach im Frühjahr 1969. Der Prager Frühling war einem über 20 Jahre andauernden eiskalten Böhmischen Winter gewichen.

Dass die Ereignisse in der Tschechoslowakei an den Sudetendeutschen nicht spurlos vorbeigegangen waren und vor allem die Jugend aufwühlten, bewies die Feierstunde der Sudetendeutschen Jugend in Nürnberg am Pfingstsonntagabend vor der Kaiserburg. Den Text über diese damals heftig umstrittene Feierstunde schrieb Hans-Günther Fleischmann, der spätere Chefredakteur der Schwabmünchner Allgemeinen, einer Lokalausgabe der Augsburger Allgemeinen, dessen Familie aus Neutitschein im Kuhländchen stammte. Der am 21. September 2016 im Alter von erst 69 Jahren verstorbene Autor war über Jahre hinweg Mitglied der Sudetendeutschen Jugend, die der Deutschen Jugend des Ostens (DJO) als Mitgliedsverband angehörte.

Waren ST-Feierstunden in jenen Jahren normalerweise von hehren Appellationen geprägt und dem Pathos der Worte geschuldet, so versuchte Hans Günther Fleischmann, neue, andere Wege zu gehen. Beeinflusst von der Nachkriegsliteratur eines Wolfgang Borchert Draußen vor der Tür oder Peter Handkes Publikumsbeschimpfungen, prangerte hgf, wie seine Freunde ihn nannten, die Handelnden in der Politik der sechziger Jahre an.

Das Jahr 1968 mit Vietnam-Krieg, Studentenunruhen in Europa, dem Einmarsch des Warschauer Paktes in die CSSR hatte gezeigt, dass im Kalten Krieg durchaus heiße Phasen auftreten konnten und die Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus, des Zweiten Weltkriegs und ihrer Folgen noch längst nicht abgeschlossen, geschweige denn intensiv begonnen worden waren.
Wir feiern den 17. Juni, / wir feiern den 1.Mai. / Wir feiern, feiern, gedenken, / doch denken wir nichts dabei. / Triumph der Worte und Phrasen: / Johlen, Kreischen, Geschrei. / Paraden, beflaggte Straßen, / blitzblank geputzte Polizei. So beginnt Hans-Günther Fleischmann seine Feierstunde der Sudetendeutschen Jugend 1969. Er resümiert: Die nächste Feier kommt bestimmt, / so wie der nächste Tote schon tot. / Doch durch Routine gedrillt, getrimmt, / seh'n wir nur immer rosarot.

Als Lösungsweg für die Abkehr von der rosaroten Brille, die alles schönredet und -sieht, bietet hgf Wahrheit, Freiheit und Gerechtigkeit an: die Grundlagen der Verständigung, die wir 2017 beim Sudetendeutschen Tag suchen. Zweifler und Zyniker fragen, ob Logik und Vernunft nicht Tyrannen unserer Zeit seien. Mit Sarkasmus, Ironie und Zynismus belegt Fleischmann, dass mit rationalem Denken der Geschichte nicht beizukommen ist. Nur ein Beispiel aus der 1969er Feierstunde: Wo blieb Vernunft vor über dreißig Jahren? Zartes Grün wich schmutzig-stumpfem Braun. Väter wurden zu Hebeln, Schrauben, Muttern im Getriebe. Söhne, verkauft als Futter, billigstes Futter. Und die Maschine dampfte, walzte, glühte wie Wangen, Augen, wie Öfen, deren es so viele gab.

Die Vertreibung charakterisiert der Autor wie folgt: Trecks, Waggons, eingepfercht wie Vieh. Gerechtigkeit, Wort, schönes, aber leeres Wort. Und die Maschine dampfte, walzte, rollte. Reste von Menschen, kauernd voller Ahnung, splitterndes Holz und Tritte.

In ähnlicher Weise behandelt Fleischmann den Volksaufstand des 17. Juni 1953, den 21. August 1968, die Selbstverbrennung Jan Palachs und weitere Ungerechtigkeiten in der Welt. Er fragt mit Jan Palach: Hat er gewusst, was gespielt wird, gehört das Njet, gesehen jene Panzer, die Heere über Nacht in Stellung, gehört, wie Recht verspottet, gesehen, wie Freiheit getreten wurde?

Der sowjetische Parteichef Leonid Breschnew antwortet ihm. Schließlich fordert Hans-Günter Fleischmann zum Schluss der Feierstunde auf: Seien wir Menschen! Brückenbauer, der Beruf der Zukunft! Es gibt zu große Mengen Dynamit und Schlimmeres. Logik, Vernunft, seid Freunde unserer Zeit! Seien wir Menschen!

Schon 1969 forderte die Sudetendeutsche Jugend Verständigung suchen, Europas Mitte gestalten. Erst 2017 besteht die Chance, das Vermächtnis von Hans-Günther Fleischmann zu erfüllen. Die Feierstunden der Sudetendeutschen Jugend beim Sudetendeutschen Tag sind Geschichte. Die Aussagen von damals sind aktueller denn je. Deshalb ist es wichtig, im Sinne sudetendeutscher Erinnerungskultur daran zu erinnern.

Ortfried Kotzian

 



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