Sudetendeutscher Tag 1969 in Nürnberg
Feierstunde der Jugend

(uns liegt von dieser Feierstunde nur ein vergilbtes, schlecht lesbares Manuskript vor. Wir zitieren dieses so gut wie möglich).

 


SUDETENDEUTSCHE JUGEND
-- Bundesgruppe --


Feierstunde zum Sudetendeutschen Tag 1969

von Hans-Günther Fleischmann

A) Wir feiern den 17. Juni,
wir feiern den 1. Mai.
Wir feiern, feiern, gedenken,
doch denken wir nichts dabei.
 
Triumpf der Wort und Phrasen:
Johlen, Kreischen, Geschrei.
Paraden, beflaggte Straßen,
blitzblank geputzte Polizei.--
 
Und der Wind seufzt klagend;
jammert der Regen -- grau in grau --
die Pflastersteine fragend:
"Was soll diese Schau?!"
 
Wind und Regen und Steine erkannten --
jene weisen Zeugen, gegen die wir ein Nichts --
zu viele schon von uns verbrannten.
Nach Menschenfleisch riecht‘ s!
 
Achtung! Stillgestanden, marsch, marsch, marsch!
Feuer, Feuer!
Wieder kriegen Frauen Kinder . . .
 
 
Die nächste Feier kommt bestimmt,
so wie der nächste Tote schon tot.
Doch durch Routine gedrillt, getrimmt,
seh'n wir nur immer rosarot.
 
Wir pfeifen auf Rosa, sagt doch rot,
rot wie das Blut, das täglich fließt;
wir wollen leben hämischer Tod . . .
 
Auch das man uns niemals vergißt
ersetzt nicht Regen und Sonne,
das Licht, das wir erstreben:
Wahrheit . . . Freiheit . . . Gerechtigkeit . . .
 
1) Wahrheit . . . welche?
2) Freiheit . . . von wem?
3) Gerechtigkeit . . . für wen?
1) Worte, nichts als schöne? aber leere Worte.
2) Und der gequälte Mensch labt sich an ihnen, schlürft sie gierig in sich ein:
als Nahrung seiner Hoffnung.
3) "Es hebt die Freiheit siegend ihre Fahne." Strohhalm des Ertrinkenden,
du zugeworfener Rettungsring, der ewig auf den Wellen vor dir hertanzt,
dessen Rot dir blinkt, bald nah, dann nur als Punkt. Ein Spiel gezügelter Verzweiflung.
2) Freiheit, in einem Atemzug genannt mit Recht und Frieden. Illusion,
Stiefkind mit Schlüssel um den Hals. Eingesperrt wie's unerwünschte Gör, das zeigt, daß es geliebt sein will.
Freiheit, blutrot, zerknittert,
ein schmutzig Taschentuch. Wort nur. Und wenn es noch so laut gesprochen, wind's übertönt, wenn Panzerketten rasseln,
1) wenn Mauern knirschen? bersten?
2) wenn Zischen speiender Rohre Silben? Worte zum Verglühen bringt
3) Njet und Stahl sind herrische Bezwinger?
1) Heere über Nacht in Stellung: Argumente.
2) Logik? Vernunft, Tyrannen unserer Zeit! Warum verkriecht ihr euch, gestattet, daß der Mensch euch nur gebraucht, wenn es ihm angenehm?!
 
3) Wo blieb Vernunft vor über dreißig Jahren? Zartes Grün wich schmutzig stumpfen Braun.
Väter wurden zu Hebeln, Schrauben, Muttern im Getriebe.
Söhne, verkauft als Futter, billigstes Futter.
Und die Maschine dampfte, rollte, walzte, glühte, wie Wangen, Augen, wie Öfen, deren es so viele gab.
1) Es war einmal . . . Gebrüder Grimm jetzt wieder aktuell. Nur etwas Mut zur Phantasie:
Das Hexenhaus heißt Krematorium. Jedoch nicht treudeutsches Hänschen ist gefährdet, auch Gretchen ist ein Garantieschein für die Sicherheit.
Statt dunklem Wald, knorrigen Bäumen drohen Essen, Pfosten, Stacheldraht. Es war einmal . . .
2) Perfektion, Triumpf des Bösen! Vernunft, Wort, arrogantes, wo bliebst du? Gilt für dich die Fahne, zählt für dich der Wind?!
 
3) Die Zeit deckt den Mantel darüber, hatten viele geglaubt, gehofft...
Ein wenig Rost . . . Blut verkrustet. Der "Weiße Riese" tut sein Übriges.
Ein Hoch dem superweißem Weiß! Chamäleon, du Star der Farbenspielerei,
was bleibt dir außer Neid?! . . .
l) Von allen Ecken schallt es? angeklagt, und wenn ihr noch so viel mit Worten operiert;
ihr bleibt doch angeklagt. Angeklagt wegen Mordes!
2) "Ich war doch nur ein kleiner Fisch," betont der eine,
1) angeklagt wegen Totschlages!
2) "Ich war doch nur Befehlsempfänger," beteuert der andere.
l) Angeklagt, angeklagt sind viele, die heut‘ sagen, nichts gewußt zu haben,
unschuldig zu sein.
3) Unschuldig?
l) Schuldig! Schuld, aus einer Zeit, da niemand etwas hörte, sah und wußte.
2) Wie ein Messias-Wort, des Weitenrichters strenge Forderung, klingt jener Satz, der mehr als gestern, heute gültig sein muß.
l) "Heute kann niemand mehr sagen, er wisse nicht, was gespielt wird,
2) und niemand wird später sagen können, er habe nichts gehört, auch nichts gesehen, nichts gewußt.
3) Jeder trägt Verantwortung!
1) Der Bildschirm flimmert's,
2) durch den Äther rauscht's,
3) die Druckerzeilen klagen's.
l) Und ihr?
3) Und wir?!
1) Jeder trägt Verantwortung! . . .
2) Wir sehen, hören, lesen
3) müssen's deshalb wissen!
 
2) Trecks, Waggons, eingepfercht wie Vieh;
Gerechtigkeit, Wort, schönes, aber leeres Wort.
Und die Maschine dampfte, walzte, rollte.
Reste von Menschen kauernd voller Ahnung, splitterndes Holz und Tritte.
3) Rache!
1) Recht!
2) Recht in einem Atemzug genannt mit Freiheit, Frieden! Illusion,
Stiefkind mit Schlüssel um den Hals.
Wort, und wenn es noch so laut gesprochen, wird‘s übertönt, wenn Güterwagen über Schienen donnern.
Niemand konnte sagen, er wisse nicht, was gespielt wurde, er habe nichts gehört, auch nichts gesehen, nichts gewußt.
1) Wer trägt Verantwortung?
2) Heute kann niemand mehr sagen, er wisse nicht, was gespielt wurde.
 
3) 1953: Sie haben den Kopf hingehalten, den Arm erhoben, Freiheit und Leben aufs Spiel gesetzt. Erschütternd der Aufschrei der Hoffenden damals. "Kollegen, reiht euch ein, wir wollen freie Menschen sein!" Panzer gegen Fäuste und Steine, und wir waren Zeugen.
1) Heute kann niemand mehr sagen, er wisse nicht, was gespielt wird!
2) Und niemand wird später auch sagen können, er habe nichts gehört, nichts gesehen, nichts gewußt!
3) Und Ungarn, Mauerbau, warum vergißt die Welt! Sie wußte davon! Schreie und Schüsse gellen in den Ohren.
2) "Der Wind verweht Verantwortung?"
1) Staatsratsvorsitzender eines Staates, den wir nicht anerkennen. Egoist, der Wahrheit durch Mauern abzukapseln suchte. Doch Schüsse, Vopos haben’s nicht geschafft, uns diese Wahrheit zu verhehlen. Stacheldraht und Minen waren dafür keine Sperre. "Niemand," betonte er, "könne später sagen . . . "
2) Scheinwerfer. Propaganda. Schuß nach hinten. Wie's Amen im Gebet darf dieser Satz uns nicht verloren gehen: Heute kann niemand, niemand, versteht ihr, niemand sagen . . .
1) Sagen . . . , daß Vietnam ihm ein Fremdwort ist, der Krieg dort nichts als böser Traum.
2) Fern liegt dies Land -- dort ißt man Reis -- . . .
3) Nah ist dies Land, wir kennen Bomben!
1) Biafra, Land im dunklen Kontinent . . .
2) Fern liegt dies Land der schwarzen Ärmsten . . .
3) Nah liegt dies Land, wir kennen Hunger!
2) Heute kann niemand mehr sagen . . .
3) Jeder trägt Verantwortung!
1) Auch für Jan Palach? die Flammen, die ihn umzüngeln?
2) Auch für die Fackel, als die er -- wie ein Fanal -- das Dunkel sprengte?!
3) Mensch, du, erster, der du mit Feuer in Berührung kamst! Was dachtest du, als jener Blitz den Baumstamm fraß, gierig züngelte, naschte, lechzte; als dich das Leuchten blendete, erschreckte! Hast du gefühlt, daß dieser Augenblick für ewig dich vom Affen unterscheiden würde?
Warst du. glücklich, restlos . . .
oder bedrückt, der Ahnung voll?!
 
1) Prometheus, Titan, der die Gabe den Göttern gestohlen, den Menschen geschenkt! Verstehst du, warum du büßen mußtest, geschmiedet an die Felsen des Kaukasus, umkreist, zerhackt von Adlern? . . .
Dir blieb Verantwortung nicht erspart. Titan, naiver, du hast die Menschen unterschätzt!
2) Dachtest, daß Wärme, die du gespendet, Warme bleiben würde.
3) Doch sie haben sich nicht nur Fleisch gebraten, sich getrocknet, wenn sie vom Regen durchnäßt!
2) Kochtopf -- Wärme wurde konserviert, zu Brandpfeilen, Pistolenblitzen, Kanonen und Raketen, Bombenterror.
Die Geister, die er rief, wurd‘ er nun nicht mehr los.
1) Und was dem kleinen Gott der Welt einst diente, führte geradewegs zum Wahnwitz, nicht mehr kontrollierbar.
3) Feuer! . . . Warum verbranntest du Jan Palach und die vielen andern mehr?!
1) Aus Gleichgültigkeit?
2) wolltest du uns unsere Grenzen, deine Stärke zeigen . . .
3) oder barmherzig sein!
1) Oder hast du sie verstanden, die Botschaft, die messirische: Jeder trägt Verantwortung!
2) Hast du gefühlt, woran Palach zerbrach, wolltest du ihm seine Chance lassen?! Was war's, das dich wie eine Natter schlängeln ließ und dich nicht abhielt Fleisch junger Menschen zu versengen, zu verbrennen!
3) Prometheus, hast du dies vorausgesehen?
2) Nun, Flamme, was hat der Junge dir in seinem Todeskampf verraten?
1) Hat ihn gekränkt, was seinem Land da widerfuhr, daß einem Frühjahr ohne Zwischenspanne, die Eiseskälte folgte?
2) Daß Freiheit, selbst begrenzte, Recht, nicht mehr waren wie ein zerknittert Taschentuch, um den Finger gewickelt, getränkt von Blut?!
3) Hat er gewußt, was gespielt wird, gehört das Njet, gesehen jene Panzer, die Heere über Nacht in Stellung, gehört wie Recht verspottet, gesehen, wie Freiheit getreten wurde?
 
1) Und Breschnew sagte dazu: "Bei der Entwicklung der Beziehungen der Sowjetunion zu den sozialistischen Staaten spielen die Verträge über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe eine bedeutende Rolle. Jeder dieser Verträge ist eine echte Freundschaftscharta . . . "
2) Jan Palach, wir verstehen!
Die Waffen eurer Freunde wollten nur dein Leben schützen, deinen Frieden . . .
Waffen des Sozialismus drohten nur, um dich, dein Land zu retten.
3) Angeklagt sind wir.
Angeklagt wegen der großen Lüge, jede Waffe eines imperialistischen Staates sei gegen Frieden und Sicherheit, gegen das Leben gerichtet.
Aber Waffen in den Händen der sozialistischen Staaten seien Waffen zum Schutze des Friedens, zum Schutze des Lebens!
2) Jeder trägt Verantwortung.
Heute kann niemand mehr sagen . . . Ein Achselzucken reicht nicht mehr, nicht die Beteuerung, taub, blind, dumm zu sein.
A) Vorsichtig lugt der Morgen über'n Horizont; langsam, zaghaft steigt der neue Tag herauf. Mächtig, Moldau, bist du von deinem Ursprung bis nach Prag geworden: ein Strom . . . Und vor der Goldenen Stadt die Schnellen! Brausend stürzen Wassermassen über Klippen, rasende Fluten, Kreisel, sprudelnd; Wellen, Tiefe, gehender Schlund.
Frühling in Prag, Lenz voller weißer Sterne . . . zart und zerbrechlich noch wie Anemonen. Lang haben sie und die Narzissen sich gehalten; auch nicht des Sommers Glut verdorrte sie. Erst als die Flamme brannte, Jan, sind sie geschmolzen. Resignation, Njet und Stahl sind herrische Bezwinger.
Nein-Sager auf verschiedener Ebene; der eine schlägt, der andere wird geschlagen. Es lag am Ja, Jan, du hast nicht nur den Kopf geschüttelt, du sagtest Ja zum Frühling. Ja zur Hoffnung, Anemonen-Sehnsucht . . . Ja zur Flamme.
Vorrecht der Jugend ist, ans Ideal zu glauben, und wenn es momentan auch scheint, als ob's absurd . . .
Wir wollen, dürfen keine Hebel, Schrauben, Muttern im Getriebe sein. Wir wollen leben, wir müssen mehr als Futter sein!
Wir hören, sehen, wissen.
Und wenn so viele Worte heute auch nur Phrasen sind, wer nicht mehr hofft, wer sich nicht sehnt, ist tot -- und mit ihm auch der gute Wille. Weltanschauung, Ideologie . . . Wir haben gesehen wie sie versagen, wenn nicht der Mensch ist, der sie fruchtbar macht, der ihnen Maß verleiht und Grenzen setzt.
Seien wir Menschen!
Brückenbauer, der Beruf der Zukunft! Es gibt zu große Mengen Dynamit und Schlimmeres.
Logik, Vernunft, seid Freunde unserer Zeit!
Seien wir Menschen.



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