Sudetendeutscher Tag 1956 in Nürnberg
Feierstunde der Jugend am Hauptmarkt

 


Wir rufen Deutschland

Halte Dir diesen Abend noch einmal vor Augen:

Das Menschengewoge in den engen Straßen der Innenstadt, in Wellen rollen Fahrzeuge zwischen dem Grün und Rot der Verkehrsampeln, das festliche Aussehen der Stadt, von der hohen Burg sind nur noch die Umrisse zu erkennen, denn der Abend senkt sich nieder.
Die ersten bunten Leuchtröhren fIammen auf, in der Luft hängt das Schwirren vieler froher Menschenstimmen, gemischt mit den Geräuschen großstädtischen Verkehrs.
Und die dicken runden Türme stehen da, als wollten sie sich vor dem Schlafengehen noch einmal die alten Augen munter reiben, um zusehen, was zu ihren Füßen geschieht.

Wir ziehen wieder zum Hauptmarkt, auf dem der Schöne Brunnen werktags beobachtet, wie die Marktfrauen ihre Waren anbieten.

Wir ziehen durch die Straßen der einst reichsfreien Stadt, vorbei an alten, kunstsinnigen Bauten, die uns an Namen wie Dürer, Stoß, Vischer, Behaim und Pirkheimer erinnern, vorbei an modernen Eisenbetonklötzen, die uns neben Ruinenplätzen des Bombenkrieges daran gemahnen, daß das Leben nicht stillstehen darf.

Inmitten der Steinschluchten der Straßen unser Singen und Klingen. Unseren Weg säumen Ungezählte.
Wir stehen auf dem Platz. Fackeln brennen. Neunmal schlägt die Glocke der Kirchturmuhr:

Unser Lied erhebt sich:
Lobet der Berge leuchtende Firne . . . Lobet das Land, darüber wir schreiten, hoch zu den Sternen die Stirne gewandt! Lobt es in alle Ewigkeiten, Deutschland, du, unserer Mütter Land!

Trommeln --.

Es führen Grenzen durch unser Land
mitten durch unser Herz!
Sie trennen den Bruder vom Bruder, die Kinder von den Eltern,
den Mann von der Frau.
Aber sie scheiden noch mehr.
Sie schaffen zwei Welten,
-- die nur gemeinsam ein Ganzes sein können --
denn sie teilen Deutschland!

Unsere Jugendfeierstunde. Wir rufen Deutschland, das ist ihr Sinn.
Rolf Nitsch gab diesem Ruf die Form des Wortes.

Drei Sprecher verkünden den Ruf.
Fackeln erleuchten die Gesichter der Mädel, der Jungen, der Eltern und der Freunde.

Wach auf, wach auf, du deutsches Land, du hast genug geschlafen . . . , so singt es aus jungen Kehlen.

Und wiederum der Sprecher:
Beiderseits dieser Grenzen klingt die gleiche Sprache,
lebt die gleiche Vergangenheit, bangen die Herzen um gemeinsame Zukunft.

Hart und ernst fallen die Worte. Wir stehen in ihrem Banne.
In diesem Augenblick erkennen wir schmerzend die Not unseres Volkes, unseres Vaterlandes.
Wir hören die Rufer. Sie geißeln die Unfreiheit in der Mitte des Vaterlandes, sie geißeln die Sattheit, die Lauheit und die Trägheit in seinem Westen.

Deutschland ?
Jenseits dieser Grenzen
liegt Deutschlands Mitte
und Deutschlands Osten.
Aber Deutschland ?
Deutschland ist größer!
Diesseits dieser Grenzen
Liegt Deutschlands Westteil.
Aber Deutschland ? --
Deutschland ist größer !
Wo aber ist Deutschland ?

Stille ! --.

Geigenton, Celloton.
Joseph Haydns Weise, das Kaiserquartett.

Von irgendwoher die Stimme eines vierten Sprechers:
Deutschland ist da, wo starke Herzen ahnen,
dass über allem Fremden, hoch und hehr,
ein Dom sich wölbt, umspannend alle Lande
vom Kranz der Alpengipfel bis zum Meer.

Deutschland ist da, wo alle Ströme raunen
von einem, der dereinst den Drachen schlug
wo alte Lieder neue Taten fordern
und Treu und Glauben wider Trug und Lug.

Deutschland ist da, wo wir es in uns tragen,
wo wir es suchen hinter fremdem Schein,
wo wir es denken und wo wir es wagen
daran zu glauben – da wird Deutschland sein.

Unser Lied wird zum Gelöbnis:
Nichts kann uns rauben, Liebe und Glauben zu unserm Land.

Fackeln tragend zieht unsere junge Gemeinschaft in fast endlosem Zuge zum Zeltlager zurück.

Hinter uns liegt ein starkes Erlebnis. Es hat uns noch fester zusammengefügt.



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