Heimatpolitik in der Kindergruppe

Häufig taucht die Frage auf, ob es überhaupt möglich ist, mit Kindern dieser Altersstufe schon heimatpolitische Arbeit zu betreiben.
Diese Frage ist dann berechtigt, wenn es sich um eine Art heimatpolitischer Arbeit handelt, die man immer wieder und immer noch in manchen Gruppen findet. Die Arbeit nämlich, die sich zum Ziel gesetzt zu haben scheint, den Kindern einen natürlich gewachsenen Heimatbegriff zu nehmen, ohne ihnen einen anderen, ebenso gut fundierten dafür zu geben.

Gerade im jetzigen Zeitpunkt ist es für uns dringend notwendig, uns mit diesen Fragen auseinanderzusetzen.
Dabei müssen wir die Frage nach der Möglichkeit heimatpolitischer Arbeit in der Kindergruppe eindeutig bejahen. Ebenso eindeutig aber muß einmal festgestellt werden, daß wir gerade mit den 6-l0-jährigen richtige heimatpolitische Arbeit machen wollen.
Wenn wir das tun, wird nichts genommen oder zerstört und trotzdem das Ziel erreicht, das wir erreichen müssen, wenn nicht unsere Arbeit von vornherein zur Aussichtslosigkeit verurteilt werden soll. Je früher wir mit der Arbeit beginnen, desto sicherer werden wir das Ziel erreichen.
Dabei ist es notwendig, zuerst Klarheit über die Einstellung unserer Kleinsten zu dem Worte Heimat und zum Inhalt dieses Begriffes zu gewinnen.
Die Mädel und Jungen, welche heute im Kindergruppenalter sind, sind durchwegs bereits in Westdeutschland geboren und haben von dem Lande, das noch ihre Eltern Heimat nennen, überhaupt keine Vorstellungen. Ihnen ist der jetzige Wohnort Heimat.
Diese Einstellung ist natürlich gewachsen und entspricht durchaus dem Fassungsvermögen der Kinder. Sie bedeutet aber auch eine Bindung, die wir nicht zerstören dürfen, wenn wir Brüche und Schäden vermeiden wollen.
Gerade in unserer Zeit, in der sich der Mangel an Bindungen so stark und so ungünstig auswirkt wie selten vorher, darf einfach keine Bindung mehr zerbrochen werden, auch dann nicht, wenn wir Erwachsenen der Meinung sein sollten, daß wir etwas Besseres dafür geben könnten.
Dazu kommt, daß in der 3. und 4. Klasse der Grundschulen dieser Heimatbegriff systematisch vertieft und erweitert wird. Das Fach Heimatkunde steht im Lehrplan dieser Klassen, und jeder Lehrer ist verpflichtet, in dieser Richtung zu arbeiten.

Wir haben das zu berücksichtigen und müssen deshalb mit aller Vorsicht zu Werke gehen.
Diese Vorsicht beginnt schon bei der Bezeichnung dieser Sparte unserer Arbeit. Das Wort Heimatkunde muß überhaupt vermieden werden, weil es nur Verwirrung schafft.
Für das Land im Osten wollen wir vor den Kindern als von dem Land sprechen, in welchem ihre Eltern früher gewohnt haben. Und hier knüpfen wir auch an.

Dabei geht es darum, zuerst eine persönliche Beziehung zu diesem Land zu schaffen. Das heißt, daß das Kind von sich aus eine bestimmte Einstellung zum Herkunftsland seiner Eltern findet.
Einige Voraussetzungen zu dieser Arbeit bringen die Kinder in den meisten Fällen mit.
Manche der Eltern sind in den Landsmannschaften. Sie sprechen von sich als von Schlesiern, Ostpreußen und Sudetendeutschen, sie haben vielfach noch eine andere Mundart und manche Eigenheiten, die sie von den anderen Bewohnern des betreffenden Ortes unterscheiden.
Manche Kinder wissen auch, daß die Eltern nicht immer hier gewohnt haben und daß das Wort Zuhause oder Daheim bei ihren Eltern eine ganz andere Bedeutung hat, als bei ihnen.
Manches davon mag den Kindern nicht so ganz klar sein, wie es hier steht. Irgendwie aber wissen sie darüber meistens Bescheid.

Wir werden also mit unserer Arbeit so beginnen, daß wir die Kinder bei Gelegenheit (auf keinen Fall aber in der allerersten Gruppenstunde, sondern erst dann wenn wir uns ein bißchen aneinander gewöhnt haben!) davon erzählen lassen, wo ihre Eltern früher gewohnt haben.
Sollten welche dabei sein, die nichts darüber erzählen können, so fordern wir sie auf, zu Hause einmal danach zu fragen.
Die Mutter oder die Großmutter werden die notwendigen Auskünfte gerne geben. Besonders die Großmütter erzählen viel und gerne und sie erzählen meist auch mit der durchaus richtigen Einstellung zu ihrem Herkunftsland, weil diese Einstellung in Freude und Leid und in guten und schweren Zeiten gewachsen ist.
So wird den Kindern der Name des Herkunftsortes vielleicht auch schon die oder jene landschaftliche Besonderheit, die nächste größere Stadt, ein Fluß oder ein Berg auf eine ganz natürliche Weise vertraut. Dabei bleiben Namen nicht nur Namen, sondern sie werden bereits mit einem Inhalt verbunden, der größer wird, je besser die Eltern davon erzählen.
Damit ist nun nicht gemeint, daß die Eltern den Eindruck erwecken sollen, jenes Land sei das, in welchem Milch und Honig fließt. Es ist damit gemeint, daß aus den Worten der Mutter noch Liebe zu diesem Lande sprechen sollte.
Gerade dafür haben Kinder ein feines Gehör. Sie sind gewillt, Werte, die den Eltern oder auch der Gruppenleiterin etwas bedeuten, auch für sich als solche anzuerkennen.

Worte aber bleiben Worte.
Um nicht darin stecken zu bleiben, muß bald das Bild ergänzend und klärend dazu kommen. Auch dabei wollen wir vom Bekannten zum Unbekannten gehen.
Ein einfacher und trotzdem ergiebiger Weg ist die Herstellung heimatlicher Bilderbögen. Es soll eine ganze Reihe davon entstehen. Damit wir wissen, was wir damit wollen, fangen wir mit dem Bilderbogen der Heimat -- also des Wohnortes -- an.
Dazu genügt es, den Kindern aufzutragen, Bilder von Dingen, die ihnen besonders gefallen, zusammenzutragen. Diese Bilder werden dann auf einen nicht zu kleinen Karton aufgeklebt.
Damit kann eine Bastelstunde gut und zweckvoll ausgefüllt werden. Wenn wir den Kindern noch klar machen können, daß auf diese Weise auch ein ganz Fremder einen brauchbaren Eindruck von ihrem Wohnort bekommen kann, sind wir schon ein Stück weiter.
Anschließend lassen wir nun die Kinder Bilder aus den Herkunftsländern ihrer Eltern mitbringen. Dazu gibt es heute eine Unmenge von Möglichkeiten. Sie reichen vom Zeitungsbild bis zum Kunstdruck. Besonders wertvoll aber sind Fotos, die aus dem Besitz der Eltern stammen.
Kinder aus dem gleichen Herkunftsland basteln gemeinsam den Bilderbogen dieser Landschaft. Wir schaffen uns damit erstens einen Eindruck und haben zweitens das Bild des Herkunftslandes zu den Erzählungen davon.
Die Kinder, die auch über ihre Eltern keine Verbindung zum deutschen Osten herstellen können, das heißt also, die aus Westdeutschland stammen, sollen dabei ebenfalls einen Auftrag bekommen, der später auf die ganze Gruppe ausgeweitet werden kann.
Viele Kinder kennen heute aus Ferienreisen ein wesentlich größeres Stück Deutschland als früher. Ansichtskarten aus den Ferienorten, Fotos und Bildmappen, die es in jedem Ferienort gibt, helfen uns dazu, den Begriff Deutschland besser zu erfassen.

Beinahe nebenbei erreichen wir damit, daß sich die Kinder immer wieder mit dem Herkunftsland ihrer Eltern beschäftigen.
Märchen und Sagen setzen neue Lichter auf das Bild des deutschen Vaterlandes.
Von besonderer Wichtigkeit ist dabei, daß wir immer wieder nach Sagen suchen, die nicht nur in einer Landschaft zu Hause sind, sondern vielfach abgewandelt in fast allen Gebieten Deutschlands erzählt werden. Auch aus solchen scheinbaren Kleinigkeiten wächst das Bewußtsein manches gemeinsam zu haben und die Erkenntnis, daß jenes ferne und meist auch schon fremde Land im Osten vielleicht doch nicht ganz so fremd ist, wie es im ersten Augenblick scheint.
Dazu gehören natürlich auch Lieder und Spiele, die ja häufig gleichartig sind.
Völlig sinnlos und falsch wäre es, die heimatpolitische Arbeit in der Kindergruppe etwa so anfangen zu wollen: „Wir wollen heute einmal von Euerer Heimat sprechen. Ich habe Euch dazu eine Karte mitgebracht!“ Dann wird die Karte entrollt und die Kleinen stehen völlig verständnislos davor.
Mit Landkarten üblicher Art ist in diesem Alter gar nichts anzufangen.
Wenn überhaupt Karten verwendet werden sollen, dann könnten es nur sehr gute und übersichtliche Bilderkarten sein, auf denen die Kinder ohne große Anstrengung den Herkunftsort ihrer Eltern, die nächstgelegene Stadt oder den und jenen Fluß oder Berg wiedererkennen könnten. Solche Karten sind noch verhältnismäßig selten zu haben.
Deshalb ist es besser, überhaupt auf die Karte zu verzichten bis die Kinder in der Schule in die Landkarte eingeführt werden. Dies geschieht frühestens im 4. Schuljahr. Es ist aber zu bedenken, daß die Einführung in die Karte noch lange nicht dem Kartenverständnis und der Fähigkeit, eine Karte zu lesen gleichzusetzen ist.

Im übrigen ist zur heimatpolitischen Arbeit in der Kindergruppe immer wieder besonders zu betonen, daß diese Arbeit Prinzip, aber nicht von allen anderen losgelöste Sparte sein kann.
Das heißt, daß wir in allen Sparten immer wieder auf den Osten hinweisen, ohne jedoch diese Hinweise zu Referaten ausarten zu lassen. Es genügt vielmehr gelegentlich der Satz: „Dieses Lied haben Euere Mütter schon da und dort gesungen, sie haben es dort gelernt und wir lernen es heute auch.“
In den Bastelstunden und in der Fest- und Feiergestaltung kann vieles, beim Singen kann noch mehr geschehen, ohne daß der Begriff Heimatkunde oder gar heimatpolitische Arbeit überhaupt erwähnt wird.
Denn nur so wächst in den Kleinen der Gedanke: Das Herkunftsland unserer Eltern ist auch Heimat und auch unsere Heimat. Die Vermittlung dieses Gedankens, des Ahnens um eine zweite, ursprüngliche Heimat, ist das Ziel unserer heimatpolitischen Arbeit in der Kindergruppe.
Wenn wir es erreichen, schaffen wir damit die Voraussetzungen für die aufbauende Arbeit der nächsten Altersstufen und das -- aber auch nur das -- ist unsere Aufgabe.



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