Die Deutsche Gildenschaft musste sich von einem ihrer Gründerväter verabschieden. Sein Geist, der prägend war für die erste Nachkriegsgeneration von Gildenschaftern, wirkt weiter und mahnt zur Verantwortung und zum Realismus.
Wolfgang Egerter wurde am 4. Dezember 1930 im sudetendeutschen Schluckenau geboren und erlebte dort seine Kindheit und die Schulzeit bis hin zur Nationalpolitischen Erziehungsanstalt, die damals junge Menschen mit Führungsqualitäten zur künftigen Elite ausbilden sollte.
Bestimmend für seinen künftigen Weg wurde jedoch die Vertreibung der sudetendeutschen Volksgruppe nach dem
Zweiten Weltkrieg, die er im Alter von 14 Jahren erlebte. Seit 1950 in der Sudetendeutschen Jugend an führender
Stelle engagiert, war er 1952 einer der Mitgründer des Arbeitskreises Sudetendeutscher Studenten (ASST).
Dort wurde schon früh um die Neugestaltung des Verhältnisses zu Tschechen und Slowaken als Aufgabe der
Zukunft gerungen. Dies stand nach der Vorstellung Wolfgangs und seiner Mitstreiter nicht im Gegensatz zu ihrem
Festhalten am kollektiven Heimatrecht der Sudetendeutschen und der Bemühung dem Heimatrecht als Bestandteil der
allgemeinen Menschenrechte Anerkennung zu verschaffen.
Wolfgang war von Natur aus ein begabter Redner und konnte Menschen für seine Ideen und Ziele begeistern. So fand er nicht zu den Vereinen, sondern er gründete und führte. Am Rande einer Internationalen Hochschulwoche des ASST gründete er 1953, gemeinsam mit jungen Tschechen und Slowaken, die Arbeitsgemeinschaft der Jungen Generation für mittel- und osteuropäische Fragen, wohl einer der ersten Versuche, die nationalistische Konfrontation mit unseren östlichen Nachbarn zu überwinden.
Wolfgangs geselliges Wesen und seine tief empfundene Kameradschaft zu seinen Mitstreitern waren der Grund,
warum er sich auf Dauer nicht mit dem gemeinsamen Einsatz für politische Anliegen begnügte.
1956 fand der ASST in der Altherrenschaft Bündischer Studentenverbände, gegründet von ehemaligen
Studenten der Deutschen Hochschulen in Prag und Brünn (AHBStV) eine gleichgesinnte Gemeinschaft.
Gemeinsam mit dieser brachte sich auch der ASST unter Wolfgangs Leitung mit der Deutschen Akademischen
Gildenschaft (DAG) in die damit wieder erstandene Deutsche Gildenschaft ein. Bei dieser am
15. Juni 1958 erfolgten Neugründung bildeten die sechs Hochschulgruppen des ASST die Aktivitates der nunmehr
vereinigten Altherrenverbände, zusammen mit den drei in Gründung befindlichen Junggilden der DAG in Hamburg,
Berlin und Frankfurt.
Wolfgang wurde zum ersten Aktivensprecher und stellvertretenden Vorsitzenden gewählt und hatte dieses
Amt bis 1962 inne. Diese bündische Korporation unterschied sich von anderen Korporationen nicht nur
durch das Fehlen sinnentleerter äußerer Formen, sondern auch durch die Zuständigkeit des Bundes für grundlegende
Beschlüsse und eine zentrale, gemeinsame Altherren-Organisation. Von den Gilden der Zwischenkriegszeit mit ihren
verschiedenen schwärmerischen Ideen sollte sie sich durch eine stärkere Betonung von Verantwortung und Realismus
in der Erziehungsarbeit abgrenzen.
In dieser sehr intensiven Gründungszeit, im Herbst 1959 lernte Wolfgang auf einer Hochschulwoche auf dem Heiligenhof seine spätere Frau Wiebke kennen, die Mitglied der Hansischen Gilde in Hamburg war, und die er im August 1964 heiratete. Seine zwei Söhne, Jens Ole und Jörg Arne wurden 1965 und 1969 geboren.
Beruflich war Wolfgang Dozent an der Heimvolkshochschule in Friedrichsdorf, hielt aber auch 6-monatige Lehrgänge an der Marburger Burse für das Heimvolkshochschulwerk. Dort am Mitteleuropa-Kolleg lernte er den damaligen Landtagsabgeordneten Dr. Walter Wallmann kennen und trat 1971 der CDU bei.
Neben der Deutschen Gildenschaft, die er dann von 1972 bis 1988 als erster Vorsitzender leitete, engagierte
er sich weiterhin in der Sudetendeutschen Landsmannschaft, im Sudetendeutschen Sozialwerk, am Institut für
berufliche und politische Bildung und nicht zuletzt in der CDU Hessens, überall für das Wohl Deutschlands und
seiner Landsleute arbeitend.
In Hessen überreichte ihm Walter Wallmann 1987 das Bundesverdienstkreuz am Bande. Sein Realitätssinn, der
stets die Möglichkeiten der Zukunft im Blick hatte, machte für ihn den Abschied von vielen notwendig, die auf
die Vergangenheit fixiert waren. So verließ er gemeinsam mit mehreren Mitstreitern nach führender Tätigkeit den
Witikobund, die nationale Gesinnungsgemeinschaft der Sudetendeutschen, als sich dort die Mehrheit zu einer
rückwärts gewandten Position verschob.
Die Wende brachte für Wolfgang neue Möglichkeiten und neue Herausforderungen.
Was über Jahrzehnte durch Kontakte mit dem Exil der Tschechen und Slowaken vorbereitet worden war, die
Verständigung mit den Völkern der Tschechoslowakei, konnte nun in Angriff genommen werden. Wieder half ihm sein
Talent, Menschen zu überzeugen und zur Mitarbeit zu begeistern. Als Anreger der Erklärung Versöhnung 95,
organisierte er die Zusammenkünfte von führenden sudetendeutschen und tschechischen Intellektuellen auf denen
das Manifest gemeinsam erarbeitet und schließlich unterzeichnet wurde. Damit versuchte Wolfgang, seiner
Volksgruppe ebenso wie der inneren Debatte in der Tschechischen Republik neue Impulse zu vermitteln.
Trotz der Ablehnung, der dieser Initiative zu Beginn auf beiden Seiten entgegenschlug, blieb sie eine
Wegmarke in dem immer breiteren Strom der Verständigung zwischen den Völkern. Breiterer Erfolg war ihm dann als
Staatssekretär für Bundes- und Europa- Angelegenheiten in Thüringen beschieden, wohin er zunächst als Vertreter
des Landes Hessen entsandt worden war und vom damaligen Ministerpräsidenten gebeten wurde, sich als
Staatssekretär zur Verfügung zu stellen.
Aus der Hand des nachfolgenden Ministerpräsidenten Dr. Bernhard Vogel erhielt Wolfgang dort das
Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.
Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Landesdienst wirkte er als Berater weiter.
Seiner Initiative war schließlich ein Partnerschaftsabkommen des Landes Thüringen mit der Wojwodschaft
Malopolska (um Krakau) zu verdanken. Sie wurde von der Republik Polen im Jahre 2002 durch die Verleihung des
Offizierskreuzes des Verdienstordens der Republik Polen gewürdigt.
Auch für die Konrad-Adenauer-Stiftung und die Robert-Bosch-Stiftung knüpfte Wolfgang Verbindungen nach
Osteuropa und ins östliche Mitteleuropa. Verbindungen, die er auch weiterhin zu nutzen wusste.
Mit dem neuen Jahrtausend übernahm Wolfgang den Vorsitz des Sudetendeutschen Sozial- und Bildungswerkes
(SSBW), das in erster Linie Trägerverein für die Bildungsstätten der Sudetendeutschen war.
Es gelang ihm, gemeinsam mit einer fachkundigen Mannschaft unter Beteiligung engagierter Gildenschafter,
die finanzielle Sanierung zu erreichen, die mit der Überführung des Heiligenhofs und der gepachteten Burg
Hohenberg in eine Stiftung im Jahr 2006 abgeschlossen wurde. Von da an bis zu seinem Tod war Wolfgang
Vorsitzender dieser Stiftung.
Wolfgang betrachtete seine Tätigkeit für das SSBW nie als Selbstzweck.
Für ihn war insbesondere der neu ausgebaute Heiligenhof eine Basis, seine Vorstellungen von einem
Zusammenwachsen Mitteleuropas zu verwirklichen. Mit der Gründung der Akademie Mitteleuropa 2002 und der
Durchführung mehrerer Seminare mit hoch qualifizierten jungen Führungskräften aus unseren östlichen
NachbarIändern konnte er seine über die Jahre hin erworbenen Verbindungen nutzen und sich in seinen letzten
Jahren diesen Traum erfüllen.
Es sei nicht verschwiegen, dass ihm die Entwicklung der Deutschen Gildenschaft in letzter Zeit manche Sorge bereitet hat. Ihm, dem realistischen Visionär, fehlte jedes Verständnis für eine nostalgische Verklärung der jugendbewegten Lebensformen der Zwischenkriegszeit, ebenso wie er sich mit Tendenzen zur Unverbindlichkeit nicht abfinden konnte. Seine letzten Versuche, auch hier gestaltend einzugreifen, sind uns noch gut in Erinnerung.
Nun ist Wolfgang aus einem aktiven Leben gerissen worden, das er noch bis wenige Monate vor seinem Tod
seiner Krankheit abgetrotzt hat.
Er war unser Freund, Kamerad und Weggefährte über Jahrzehnte. Die Generation, die er mit seiner
Begeisterungsfähigkeit geprägt hat, bildet nun den Stamm der Alten Herren, die sich im Leben bewährt haben, ob
sie nun in politischen oder anderen Berufen standen. In ihnen lebt die Erinnerung an den fröhlichen und
begeisternden Wolfgang der Aufbauzeit weiter.
Sein Andenken in Ehren zu halten, heißt für die Jüngeren, das aus seinem Vermächtnis weiter zu tragen, was der Deutschen Gildenschaft Lebenskraft und Perspektiven gibt, was sie in der Realität bestehen lässt, und was in Gildenschaftern eine Haltung wachsen lässt, die sie befähigt, zu Vorbildern zu werden. Es heißt, in allererster Linie alles dafür zu tun, dass die Deutsche Gildenschaft auch in Zukunft den Fortbestand und das Gedeihen Deutschlands und seiner Kultur als wichtigste politische Aufgabe begreift und ihren Mitgliedern weitergibt.
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