Willy Brandt Ende 1945
als Zeitzeuge der tschechischen Verbrechen an Deutschen

Der frühere SPD-Vorsitzende, Bundeskanzler und Friedensnobelpreisträqer, Willy Brandt; 1945 Korrespondent der norwegischen Arbeiterpresse, schrieb über das Vertreibungselend nachstehende Reportage, die am 10. Januar 1946 in der deutschsprachigen US-Wochenzeitung "Der Wanderer" veröffentlicht wurde:


Die Zwangs-Evakuierung der Sudetendeutschen begann sofort nach dem Ende des Krieges. Seitdem ist sie ununterbrochen fortgesetzt worden.
Die Bestimmung des Potsdamer Übereinkommens, daß die Zwangsevakuierungen in humaner Form durchgeführt werden sollen, spielte dabei keine nennenswerte Rolle.
Die gewöhnliche Methode ist, daß die Sudetendeutschen einige Stunden vor ihrem Abtransport benachrichtigt werden-- in vielen Fällen hören sie aber auch gerade erst zehn Minuten vorher, daß ihre Ausweisung durchgeführt wird.
Gewöhnlich dürfen sie 25 Kilogramm Gepäck mit sich nehmen, einige sogar nur 15 Kilogramm.

Gewöhnlich ist ihnen gestattet, 200 Mark mit sich zu nehmen -- aber anderen sind sogar 50, 100 oder 150 Mark weggenommen worden.
Wenn der Befehl zum Antreten auf den Sammelstellen kommt; dann müssen sie ihre Wohnungsschlüssel, versehen mit einem Zettel, auf dem ihre Adresse steht, mitbringen, desgleichen Schmuck und Wertgegenstände und alles abliefern.

Auf den meisten Sammelstellen -- aber nicht auf allen -- dürfen die Deportierten ihre Eheringe, als einziges, behalten.

Offiziell wird gestattet, daß die Deportierten Lebensmittel für sieben Tage mit sich nehmen, aber in den meisten Fällen konnten sie keinen Proviant bekommen!
Viele wurden von ihren Häusern und Besitzungen einfach mit Lastautos abgefahren, und diese Transporte werden auch gegenwärtig fortgesetzt.

Viele andere müssen zu Fuß gehen.
Alte Leute werden zur Grenze gefahren auf Bauern-Mistwagen.
Bei den Kontrollen am Grenzübergang ist es oft vorgekommen, daß die wenige Habe, die die Flüchtlinge mit sich führen durften, zu nichts zusammenschwand.

Den Flüchtlingen wurde sogar ein zweites Hemd, wenn sie ein solches besaßen, noch weggenommen.
Anderen wurde der Mantel weggenommen.
Viele mußten ihre Schuhe an den KontrollsteIlen zurücklassen und wurden in Holzpantoffeln weitergeschickt.

Und das ist nicht alles. Die Zwangsevakuierungen waren verbunden mit unheimlichen Übergriffen von anderer Art.
Ich habe während der fünf Kriegsjahre kaum etwas anderes getan, als Aufklärung verbreitet über die deutschen Übergriffe in Norwegen! Ich kann deshalb nicht verheimlichen oder totschweigen, was jetzt an der Tagesordnung ist in anderen Teilen Europas, selbst wenn es Leute geben sollte, die mir dies als Mitleidspropaganda auslegen.

Ich habe eine Menge von Berichten gehört und gelesen; was nicht hieb- und stichfest war, ist in den Papierkorb gewandert.
Aber hier sind die Berichte, wie die Zwangsevakuierten geschlagen und ausgepeitscht wurden in den Sammellagern und auf den Transporten, und wie Sudetendeutsche die protestierten, erschossen wurden!

Es gibt andere Berichte, nach welchen die Wachmannschaften mit Gewehrkolben und Gummiknüppeln die Leute schlagen im sogenannten Arbeitsdienst, zu dem die Sudetendeutschen gezwungen werden, ehe sie ihr Heimatland verlassen dürfen.

Ich habe einen Bericht aus Postelberg (bei Saaz).
Dort mußten die Leute im Freien liegen. Nacht für Nacht, mit dem Gesicht auf der Erde! Wer das Haupt hob, wurde mit der Peitsche geschlagen; Gewehrsalven wurden auf die Leute abgefeuert, als sie an einem Morgen einen in tschechischer Sprache gegebenen Befehl mißverstanden.
Prügelkommandos wurden ins Lager geschickt.
In mehr als einem Falle ist es geschehen, daß sich die Leute im Freien auskleiden mußten bis auf die Haut.
Andere wurden totgeschlagen, wieder anderen wurden die Geschlechtsorgane in Fetzen gerissen, wie zum Beispiel in Saaz.

Vergewaltigungen sind vorgekommen in großem Umfang.
In einigen Fällen wurden die Frauen bewußtlos geschlagen, ehe sie vergewaltigt wurden.

Hier ist ein anderer Bericht aus Saaz.
Fünf Jungen im Alter von 13 bis 16 Jahren wurden an die Wand gestellt und erschossen, weil sie sich einige Schritte von einem Platz entfernten, der ihnen angewiesen worden war.

40 kleine Kinder starben in diesem Lager in zwei Tagen. Einige der Mütter, die ihr einziges Kind verloren, erhängten sich.
Hier sind Berichte von Katharinenberg.
Dort wurden Frauen im Alter von 70 und 80 Jahren aus dem Bett gejagt.
In einem Fall wurde die Frau weggerissen von ihrem kranken Mann. Als sie die Erlaubnis bekam, noch einmal in ihr Haus zu gehen, weil sie etwas vergessen hatte, hatte der alte Mann bereits den Strick in der Hand, mit dem er sich erhängen sollte.

Eine Meldung aus Tetschen besagt, daß die Evakuierung so weit ging, daß man die Kranken aus dem Krankenhaus herauswarf.

In Bodenbach wurden in einem Krankenhaus den Kranken die Bandagen heruntergerissen.
Die Russen gaben dann die Erlaubnis, daß einige Frauen mit Lebensmitteln zu den Kranken gingen; fanatisierte tschechische Posten jagten sie zurück und schlugen ihnen die Eßgeschirre aus den Händen.
Kriegsinvaliden mit Prothesen wurden geschlagen.

Man bekommt den beklemmenden Eindruck, daß es sich bei alledem nicht nur um die Übergriffe untergeordneter Wachmannschaften handelt, die sich rächen wollen!



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