Der Turnvater Jahn (1778-1852) hatte 1806 während der Napoleonischen Besetzung Deutschlands die
Jugend unter dem Motto Frisch, fromm, fröhlich, frei zur geistigen Erziehung und zur körperlichen
Ertüchtigung in Berlin in der Hasenheide aufgerufen.
Dort ließ er 1811 den ersten Turnplatz bauen. Turngeräte waren das Reck, der Barren, das Pferd und der
Bock.
Der Standesdünkel wurde überwunden. Söhne der Adligen trafen sich mit bürgerlichen Söhnen. Sie nannten
sich alle Turnbrüder.
Der Gedanke der Ertüchtigung der Jugend hat bis in unsere Zeit seinen Sinn bewahrt.
Nach dem 1. Weltkrieg nannte sich die Bewegung Deutscher Turnverband.
Der erste Turnverein der österreichisch-ungarischen Monarchie wurde 1849 in Asch in Westböhmen gegründet und beherbergte bis 1938 die Turnschule der Sudetendeutschen Turnerschaft.
In der Tschechoslovakischen Republik ab 1918 durfte kein Verband seinen Sitz im Ausland haben. So wurde am 23. 11. 1919 in Aussig der Deutsche Turnverband in der CSR mit Sitz in Teplitz-Schönau gegründet.
Im Heimatbuch Stadt und Landkreis Dux 1965 berichtet der ehemalige Verbandsdietwart Dr. Wilhelm
Welwarsky, dass sich in seinem Bezirk 26 Turnvereine befanden, die teilweise bereits 1865 gegründet worden
sind.
Junge Menschen aus allen Bevölkerungskreisen waren Mitglieder.
Außer den üblichen Turndisziplinen wie Geräteturnen, volkstümliches Turnen, Spiel und Sport, Schwimmen,
Skifahren, Segelflug wurde auch Geselligkeit gepflegt und dem heimatlichen Brauchtum Beachtung geschenkt.
Die Tätigkeit der Vereine stand unter der Kontrolle der tschechischen Staatsorgane.
So durften die Jahn’schen Farben schwarz-rot-gold aus den Befreiungskriegen 1812/13 nicht als
Symbolfarben der deutschen Turnvereine verwendet werden.
Man begnügte sich mit den Farben schwarz und weiß für die Fahnen und das Grau für die Turnerkluft.
In der neuen tschechischen Republik vollzog sich innerhalb der deutschen Jugend eine Trennung innerhalb
des Turnvereins.
Etliche Jugendliche schlossen sich den Arbeiterturn- und Sportvereinen an. Auch reine
Fußballvereine wurden gegründet.
Es entstand eine unüberbrückbare Kluft zwischen den sozialdemokratisch geprägten Arbeitersportvereinen und
den völkisch ausgerichteten Jahnschen Turnvereinen.
1928 gründete der Verbandsturnwart Konrad Henlein die Turnschule in Asch.
Das Ziel dieser Turnschule war die erzieherische Ausbildung -- eine Entwicklung, die innerhalb weniger
Jahre das gesamte Verbandsgebiet im Sudetenland ergriff und zu einer grundlegenden Veränderung des
turnerischen Lebens und der Turnvereine führte.
Das vom Verbandsturnjugendwart Tonl Sandner gestaltete Verbandsjugendtreffen 1932 in Rothenhausen bei Görkau könnte man als Geburtsstunde der Jungturnerschaft im deutschen Turnverband des Sudetenlandes bezeichnen.
Aus dem Wandervogel und der Jugendbewegung kamen immer mehr junge Menschen in den
Turnverband und brachten einen neuen Lebensstil mit.
Es wurden Heimabende, Fahrten und Zeltlager veranstaltet. Der Volkstanz und das Volkslied, auch das
Laienspiel wurden gepflegt.
Die Finkensteiner Bewegung unter Walther Hensel prägte die musische Arbeit in den Gruppen.
Es war die Geburtsstunde der Jungturner- und Jungmädelschaften.
Die Jungen hatten ihr Grauhemd, die Mädchen trugen ein Dirndl mit schwarzem Mieder. Kameradschaft und
Disziplin waren Prinzipien des Zusammenlebens.
Bei den sportlichen Wettkämpfen ging es nicht um Höchstleistungen der einzelnen Teilnehmer sondern um die
Gruppenleistung.
Die Turnbewegung wurde zu einer echten Volksbewegung im Sudetenland.
In der schweren wirtschaftlichen Situation der Nachinflationszeit und der großen Arbeitslosigkeit unter
der sudetendeutschen Bevölkerung in den 20iger Jahren bis 1931 konnten die Turnvereine mit keinerlei
finanzieller Hilfen von privater oder staatlicher Seite rechnen.
Und doch wurden durch Eigenleistungen Turnplätze und Turnhallen gebaut. Fahrten zu den Turnfesten mussten
aus eigener Tasche bezahlt werden.
Trotzdem waren die großen Treffen wie das Saazer Verbandsturnfest 1933 oder gar das überwältigende Turn-
und Sportfest in Breslau im Juli 1938, an dem 40.000 sudetendeutschen Turner und Turnerinnen teilgenommen
haben, riesige Erfolge.
In Breslau hatten die Sudetendeutschen eine eigene Ehrenhalle, die mit dem Spruch geziert war:
Wir Sudetendeutschen wollen über unser Schicksal nicht klagen,
sondern wollen stolz darauf sein, daß wir Vorposten sein dürfen
für das große deutsche Volk.
Nach dem Turnfest in Saaz 1933 gab es kaum eine sudetendeutsche Familie, die nicht irgendwie in Beziehung zum Turnen stand.
Die Tagung für Erziehung am 8.Mai 1937 in Aussig hatte auch Auswirkungen auf die sportlichen
Aktivitäten der tschechischen Jugend.
Es nahmen eine Delegation der Sokol -- dem tschechischen Turnverband --, Vertreter deutscher
Volksgruppen in Polen, Rumänien, Gäste aus Österreich, England, Holland und der Türkei teil.
Die Tage von Aussig bewiesen nicht nur, daß der sudetendeutsche Turnverband Gegenwart und Zukunft des Sudetendeutschtums bestimmt, sondern daß er durch sein Vorbild mitwirkt an der Jugenderziehung überhaupt und richtunggebend ist für die Jugenderziehung, die von der Leibeserziehung und der Mannschaft ausgeht. )1
Auch der tschechische Turnverband Sokol -- die Falken -- hat seine Wurzeln in der erzieherischen
Idee Friedrich Ludwig Jahns.
Die tschechische Jugend fand hier ihren nationalen Zusammenhalt, von dem Konrad Henlein anerkennend
sagt: „Das Sokolfest (1926) hat im tschechischen Volke sicherlich neuerlich eine große Kraft ausgelöst
und bedeutet völkisch einen großartigen Erfolg.“ )2
Mit der Eingliederung des Turnverbandes, der nach der Zählung des Statistischen Staatsamtes Prag vom 01. 08. 1937 209.845 Mitglieder hatte, wurden alle anderen Verbände wie ATUS (42.538), CDT (Christliche Turnerschaft mit 16.750 Mitgliedern) und der Deutsche Turnkreis (4.600 Mitglieder) entweder aufgelöst oder ebenfalls im Januar 1939 in den Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibeserziehung (NSRL) als Gau 18 aufgenommen.
Die tschechischen Turnverbände Sokol und Orel hatten am 01. 08. 1937 920.666 Mitglieder. )3
Nach der Eingliederung in den NSRL hatte man in sudetendeutschen Turnkreisen die Hoffnung, dass
Angehörigen des Turnverbandes, die nun SA-, SS-Männer und Führer in der HJ wurden, auf örtlichen Ebenen
gemeinsames Turnen weiter möglich sein könnte.
Die Parteiführungen der NSDAP ließen ein Eigenleben der Verbände nicht zu. So wurde durch die
Fachverbände der NSRL die Tradition der Jungturnerschaft zerstört.
Nach der Vertreibung aus dem Sudetenland versuchten viele Turnlehrer in den örtlichen Vereinen ihrer neuen Wohnsitze Fuß zu fassen und auch mit ihren früheren Turnbrüdern Kontakt aufzunehmen.
Dr. Wilhelm Welwarsky gründete die Arbeitsgemeinschaft sudetendeutscher Turner und Turnerinnen
im Rahmen der Sudetendeutschen Landsmannnschaft.
Der Sudetendeutsche Turnerbrief war das Bindeglied. Alle zwei Jahre wurden Sudetendeutsche
Turntage durchgeführt.
Mit dem Tode von Dr.Welwarsky löste sich die Arbeitsgemeinschaft sudetendeutscher Turner und
Turnerinnen auf.
Die Traditionsfahne der Sudetendeutschen Turnerschaft wurde dem Heiligenhof, der
sudetendeutschen Bildungsstätte bei Bad Kissingen, übergeben.
Quellen:
)1 Rudolf Jahn, Sudetendeutsches Turnertum, 1958, Frankfurt/M, S. 253
)2 Rudolf Jahn, Sudetendeutsches Turnertum, 1958, Frankfurt/M, S. 258
)3 Rudolf Jahn, Sudetendeutsches Turnertum, 1958, Frankfurt/M, S. 138
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