Der Pfeil berichtete im Dezember 1963:
Am Morgen bei strahlender Sonne zogen wir aus, um Deutschlands zweithöchsten Berg, den Watzmann, zu
besteigen.
Es ließ sich alles recht gut an. Wir kamen gut vorwärts, und es dauerte nicht lange, da sahen wir schon den
Grünstein unter uns liegen und lächelten nur etwas müde über diesen Hügel.
Aber man soll den Aufstieg nicht loben, bevor man nicht auf dem Gipfel ist!
Am Watzmannhaus angelangt, betrachteten einige das noch vor uns liegende Stück, den eigentlichen Aufstieg,
schon etwas mit skeptischen Blicken. Da hinauf?
Aber halbe Sachen gibt es ja nicht bei uns, und so ging es bald darauf weiter.
Immer den roten Punkten nach, denn der Weg war bald nicht mehr als solcher zu erkennen. Über Felsen ging's,
durch Geröll und bald auch durch die ersten kleinen Schneeflecken -- der Spaziergang war zu Ende!
Verstohlen schielte immer wieder jemand hinauf zum Gipfel, der anscheinend vor uns herwanderte.
Tief unten lag schon das Watzmannhaus, aber immer ging es noch bergan, ja, nun wurde es eigentlich erst
richtig interessant.
Jetzt schien es gefährlich zu werden, denn der Weg war mit Seilen gesichert und wie eine Mischung
aus Bergsteiger und Kletterer in der Turnstunde hangelten wir uns an den steilen Stücken empor, ein ganzes Stück
voraus immer unser kundiger Bergführer und dann mit mehr oder weniger großen Abständen wir anderen.
Aber die Überraschung ließ nicht mehr zu lange auf sich warten und das, woran einige schon gelinde
gezweifelt hatten, trat ein: Plötzlich standen wir oben!
Der Wind pfiff uns um die Ohren, und nach all der Schwitzerei war es uns auf einmal kühl.
Aber welch ein Blick!
Kaum einer dachte an den Aufstieg und schon gar keiner an den Abstieg.
Es gab erst einmal eine zünftige Gipfelbrotzeit.
Ein Stück weiter vor uns ging es zwar nochmals hinauf zu einem Gipfel, aber als einige Unentwegte auch da
noch hinauf wollten, erhob sich doch gelinder Protest, und so stiegen wir wieder ab.
Aber was sich hinter diesen einfachen Worten verbirgt!
Einige hatten nämlich eine Spezialart entwickelt, indem sie ständig im Gebrauch ihrer Extremitäten
wechselten. Mal ging's normal auf den Beinen, dann wieder auf allen vieren und schließlich, als bequemste Art,
auf dem Hintern talwärts.
Es war schon ein rechtes Gaudium und die Schneehühner werden nicht schlecht über diese merkwürdigen
Gipfelstürmer gestaunt haben.
Am späten Nachmittag gelangten wir wieder unten an, machten noch einen kleinen Umweg durch die Wimbachklamm
und gingen dann daran, unseren knurrenden Magen bzw. den Durst zu stillen.
Rechtschaffen müde, aber mit einem gewissen Hochgefühl, zogen wir in der Herberge ein und fielen bald in
die Kojen.
Kurze Aufregung gab es lediglich, als plötzlich einer unserer Kameraden seine Strümpfe zum Lüften
aufhängte . . .!
Am nächsten Morgen hatten die meisten einen etwas merkwürdigen Gang und einige empfanden die regelrechte
Abneigung gegen alles, was bergauf ging.
Wir sahen uns noch ein wenig Berchtesgaden an, und starteten dann zum Königssee, um dort mit den anderen
zusammenzutreffen.
Mit Hallo wurden die vier wackeren Recken begrüßt, die noch zu uns stießen, und eigentlich hätte es nun
richtig losgehen können. Justament, in diesem Augenblick aber traf ein schrecklicher Schicksalsschlag unser
Fähnlein der neun Aufrechten, der alle Pläne zu zerstören drohte.
Einer der Kameraden hatte nämlich im Zug das Wichtigste liegen lassen, ohne das die Tour für ihn unmöglich
schien -- nein, nicht etwa seinen Charakterkopf, aber doch etwas damit zusammenhängendes, nämlich -- seinen Hut!
Es folgte ein aufregendes Telefongespräch, und alles ging noch einmal gut. Der Hut war gefunden, wenn auch nicht
da.
Die Fahrt konnte beginnen! . . .
Nach kurzer Fahrt über den Königssee, die durch die elementaren Erklärungen des Bootsmanns " und das
Original-Königssee-Echo gewürzt war, verließen wir das Boot, um uns der wildromantischen Bergwelt
anzuvertrauen.
Es begann dann auch recht romantisch mit einem Jägersteig am Ufer des Sees entlang, den man uns auf dem
Schiff als lebensgefährlich angekündigt hatte, was aber doch wohl eine gelinde Übertreibung darstellte.
Nicht einmal das vielbesungene Waldmägdelein fehlte. Die anschließende Diskussion aber, welche Augenfarbe
es gehabt habe, konnte leider bis heute noch nicht entschieden werden.
Jenseits des Obersees erblickten wir dann bald das Juwel unseres Tagesmarsches, die Röthwand, die
aber von einigen der Kameraden nach dem Marsch in Wasserwand umbenannt wurde -- allerdings nicht wegen
der zahlreichen Quellen, sondern wegen der schweißnassen Hemden.
Nicht ein Wässerlein kreuzte unseren Weg, bis auf das letzte Stück, und die liebe Sonne meinte es besonders
gut, mit uns und ließ uns keinen Augenblick aus den Augen.
Manches Mal blieben wir stehen, um die herrliche Aussicht zu genießen.
Einige unserer Altbergsteiger waren schon vorausgeeilt und hatten bereits Wasser besorgt, und in der Hütte,
die wir ganz allein für uns hatten, Feuer gemacht.
Bald summte das Teewasser auf dem Herd.
Schließlich gab es sogar noch eine Suppe à la Wasseralm, die uns tüchtig aufwärmte und neue Kraft gab.
Während draußen schwarz die Nacht stand und der Wind um die Hütte ging, hielten wir das Thing ab und sangen
Lieder.
Alle Mühen des Aufstiegs waren in diesem Augenblick vergessen, man lebte nur noch der Stunde.
Ein leises Bedauern nur für all die anderen, die nicht gekommen waren und dies nicht erleben durften.
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