Vorbilder

"Mensch, ich hab' ein Autogramm von Fritz Walter!" -- "Was willst du denn mit dem? Ich hab' ein Bild von Toni Sailer mit eigenhändiger Unterschrift" -- "Ach, ihr mit euren Sportlern! James Dean, Elvis Priestley, Luis Armstrong . . .!“

So hatte es angefangen.

Der Streit wurde immer heftiger. Gerade wollten sich die Toni-Sailer-Anhänger auf die Luis-Armstronger stürzen, da betrat der Lehrer das Klassenzimmer.
Zwei hatten -- übrigens zum ersten Mal -- tatenlos zugesehen. Die Sache war ihnen neu.

Jetzt standen sie vor mir, wie zwei leibhaftige Fragezeichen. "Sag mal, hast du auch so ein Vorbild?" -- "Muss ein Junge einem dieser berühmten Männer nacheifern?"
Ich beruhigte sie, gestand ihnen, dass auch ich in ihrem Alter keinem dieser berühmten Vorbilder nachgeeifert hatte und jetzt erst recht nicht daran dächte, es zu tun.
Aber sie ließen mich erst gar nicht fertig sprechen. Dann war ja alles in Ordnung.

Nur eines war nicht in Ordnung; ich hatte doch ein Vorbild gehabt.
Ich weiß es noch wie heute: als Vierzehnjähriger, soeben frisch in die Gruppe eingetreten, war für mich mein Gruppenführer das große Vorbild. Er konnte einfach alles und fand sich in jeder Lage zurecht. Es blieb so einige Jahre.
Auf einmal war ich selbst Jungenschaftsführer, lernte manche Dinge mit ganz anderen Augen sehen, und -- das große Vorbild verblasste.

Aber jetzt -- wer ist jetzt mein Vorbild?

Früher träumten die meisten Jungen davon, einmal selbst wie die großen Jagdflieger Immelmann, Bölcke, Richthofen oder Udet mit Maschinen aufzusteigen, oder sie begeisterten sich an den kühnen Taten der Forscher und Entdecker.

Ich muß euch ehrlich sagen, unter allen Großen der Gegenwart finde ich keinen Mann, der mir nachahmenswert erschiene.

Wohl aber gibt es eine Reihe Menschen, die meine Hochachtung besitzen.
Da ist der Landarzt zu nennen, der zu jeder Tages- und Nachtzeit mit seinem kleinen Auto zur Stelle ist, wenn er gebraucht wird. Der Omnibusfahrer gehört hierher, der trotz Schneesturm und vereisten Straßen seinen verantwortungsvollen Dienst versieht. Seeleute, die bei Sturm und unter eigener Lebensgefahr mit ihren Schiffen aufs Meer fahren, um Menschen zu retten. Oder Bergsteiger, die bei Lawinengefahr Verunglückte suchen.

Diese Menschen, obwohl sie unbekannt bleiben, und überall und zu jeder Zeit auftreten können -- um nur einige zu erwähnen -- könnte ich als Vorbilder bezeichnen.

Ja -- und ich habe da doch noch einige Vorbilder.
Vieleicht werdet ihr jetzt lachen: Es sind meine Kameraden! Und warum?
Sie sind es, die mir in unserer freiwilligen Aufgabe beispielhaft vorangehen, die mich durch ihren Idealismus zur Sache immer aufrichten, wenn mir selbst große Zweifel kommen.

Das alles können mir die Großen unserer Gegenwart nicht geben. Deshalb habe ich keine Beziehung zu ihnen.
 

Klaus, Eichenried



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