DJO Schwaben:
Berlin-Fahrt,   22. - 28. 08. 1960
Bericht


Leider war nur noch der folgende Bericht zu finden:


Tagesbericht von der Berlin-Fahrt des Bezirks Schwaben
Heimfahrt am Sonntag, dem 28.8.1960

Mit einem frischen Lied verabschieden wir uns bei der Heimleitung des Jugendgästehauses Dr. Schreber.
Zu viele Erlebnisse hat uns die knappe Woche in Berlin gebracht -- wir können sie noch nicht überblicken, in unserer Erinnerung noch nicht richtig einordnen.
So mancher merkte da, daß der Teil seines Gehirnkastens, der diese Eindrücke verarbeiten sollte, bereits weitgehend verkümmert war.

Das Abschiedslied gilt auch unserer Berliner Betreuerin, die während unseres Aufenthalts in der Hauptstadt ihre ganze Freizeit opferte, um uns einen kleinen Eindruck von Berlin zu geben.
An der Stadtgrenze winkt uns der drollige Berliner Bär nach -- eine Statuette auf dem Grünstreifen der Autobahn -- und vor uns taucht, erhöht auf einem festgefügten Steinsockel, ein russischer Panzer aus dem letzten Krieg auf. Sein Geschützrohr ist drohend auf die Stadt gerichtet.

Da merken wir es wieder, das Prickelnde der Spannung beim Grenzübertritt.
Aber da ist noch ein anderer Beigeschmack, ein bitterer, der uns sagt, daß wir nur auf einer Insel zu Gast waren, die von allen Seiten von stählernen Geschützrohren bedroht ist. Und dennoch fühlen wir, daß es unsere Aufgabe sein muß, daß diese widersinnige Grenze fällt!
Die Berliner selbst mit ihrem unbesiegbaren Optimismus haben uns diese Zuversicht gegeben.

Die Kontrollen an der Grenze gehen diesmal etwas schneller vonstatten als vor einer Woche, und die Fahrt durch die sogenannte DDR, den Arbeiter-und Bauernstaat, beginnt.
Es ist Sonntag. Die Sonne bricht durch die Wolkenschleier. Unsere Fahrt geht durch die ausgedehnten Kiefernwälder Brandenburgs. Endlich reißt der Wald auf, Felder, Wiesen und Dörfer werden sichtbar. Grau, braun, zerzaust liegen da die Äcker. Keine frischen Farben erfreuen das Auge.
Kein Kartoffelfeld ohne Unkraut scheint die Losung der Produktionsgenossenschaften zu lauten.
Zur Linken ein Rübenfeld: Wie sie gesät wurden, so stehen sie in der Reihe, eng aneinandergepreßt. Hier unter den Rüben scheint das Recht des Stärkeren zu gelten: Die starke Rübe behauptet ihren Platz, drängt die anderen aus der Reihe. So wächst und gedeiht alles in der Bauernrepublik, und sogar die Naturgesetze werden befolgt.
Da taucht weit hinten ein leuchtend gelbes Feld auf, bestimmt der Acker einer Musterkolchose! Wir kommen näher. Auch aus der Nähe ist das Feld eine Augenweide. Alles übersät von goldgelben Blüten - Unkraut. Der Roggen darunter ist nur bei genauerem Hinsehen zu erkennen.
Na ja, das Unkraut war eben stärker und treibt dort die schönsten Blüten, wo es nicht von Anfang an bekämpft, und wo das Edle nicht genügend gepflegt wird.

Gibt es ein besseres Gleichnis für diesen sogenannten Arbeiter- und Bauernstaat?
Doch genug mit den Schmähungen gegen das System der Befreier!
Man will offensichtlich die Deutschen zu arbeitsamen Menschen erziehen, denn auf mehreren Feldern sieht man Kolonnen von Arbeitern. Der heutige Sonntag vermag den Arbeitseifer der Funktionäre offenbar nicht zu dämpfen. Landwirtschaftliche Maschinen mit aufgesteckter roter Fahne begegnen uns auf der Autobahn. Bei jedem Dorf ein bis zwei riesige Strohhaufen fallen besonders auf.
Wir überqueren die Elbe. Langsam und träge fließt hier der Strom. In der Ferne Fabrikschlote, Werkhallen und über allem der rote Sowjetstern.
Am Straßenrand ein Mannschaftswagen der Roten Armee. Russen in braunen Uniformen stehen in Gruppen zusammen. Einer winkt sogar. Dann wird die Straße zusehends schlechter. Wir nähern uns dem Zonengrenzübergang Töpen.
Wieder haben wir Glück, und die Kontrollen sind bald vorbei.

Nun sind wir auf westdeutschem Boden. Froh erklingt ein Lied nach rund siebenstündiger, gesangloser Fahrt durch die Zone. Und hier sehen wir den krassen Unterschied zwischen freier Wirtschaft und Planwirtschaft.
Gepflegte Äcker, grüne Wiesen, wenig Unkraut, jedes Fleckchen Erde ausgenützt, gut markierte Straßen -- ein bestechendes Bild des deutschen Westens.
In diesem Westen leben wir also, haben aber den Blick für unsere Brüder in der Zone verloren. Auch das sind ja Deutsche, würden in der Freiheit ihre Felder ebenso sorgfältig bebauen wie wir hier im Westen. Der Zwang aber unterbindet jede schöpferische Arbeit, jedes Verantwortungsbewußtsein den Vorfahren und Nachkommen gegenüber und macht den Menschen zu einem Werkzeug des Planes.

So, wie uns diese Fahrt von Westdeutschland durch die sowjetische Zone nach Berlln führte, so mußten auch wir von unserem bisherigen Begriff Deutschland abgehen und durch Schauen und Erleben lernen, um einem Ziel näher zu kommen, das wir alle anstreben, dem geeinten und freien Deutschland.
Denn bevor ein freies, geeintes Deutschland geschaffen werden kann, muß es ja in unserer Vorstellung schon fest umrissen sein.
Diese Fahrt brachte uns wenigstens im Herzen Deutschland näher.

 



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