Und weil es so schön war, berichtet der Pfeil Anfang 1958 noch einmal vom Winterlager 1952/53 der Sudetendeutschen Jugend in Josefstal bei Neuhaus
 

Pech gehabt    
Er hebt das rechte Hinterbein
und denkt: "Das kann nicht möglich sein!
Denn für das Fehlen einer Spitzen
muß ich doch zwanzig D-Mark schwitzen!
Wie konnte es mich nur so schmeißen
und mir das Brett auf Schleißer spleißen?
Nun kann ich gehn nach Haus alleine,
ich Unglückskind, auf einem Beine!“


   

AUF DER ROTWAND

Dies, Kameraden, ist die Geschichte der Erstbesteigung eines Berges der Bayrischen Alpen durch eine Abordnung norddeutscher Nichtskifahrer.
Es ist ein durchaus ernsthafter Bericht und alle, die etwa in Versuchung kommen sollten, beim Lesen zu lachen, mögen daran denken, was es heißt, unter solchen Umständen den Kopf dort zu behalten, wo er hingehört.

Dabei fing es so harmlos an.
Zum Winterlager 1952 in Josefstal am Schliersee hatten wir Kameraden aus Nord- und Südschleswig eingeladen. Sie kamen.

Mit ihnen kamen ein paar Latten, die sie für Skier hielten, und es kam allerhand Kummer.
Der fing mit den Schuhen an.
Schon nach der ersten halben Stunde auf den Brettern, die dort für acht Tage lang wirklich die Welt bedeuteten, zeigten die Absätze jener Schuhe eine unwiderstehliche Abneigung gegen das Verbleiben an dem ihnen vom Schuster zugewiesenen Ort. Sie machten sich selbständig. Da aber nun jeder Ski am Absatz des Schuhes mit Hilfe einer sinnreichen Erfindung -- Bindung genannt -- befestigt wird, mußten die renitenten Absätze immer wieder zur Raison gebracht werden.
Nun -- diese Aufgabe löste schließlich der dort wohnhafte Schuster einigermaßen zufriedenstellend.

Damit aber war der Kummer noch nicht zu Ende.
Denn nun blieb zwar der Ski am Schuh, der Schuh auch am Fuß, aber der Fuß nicht immer in der senkrechten Normallage. Er neigte vielmehr dazu, sich seitwärts umzulegen. Und da das nicht nur ein Fuß, sondern beide taten, und da die beiden sich nicht darüber einigen konnten, nach welcher Seite sie sich zu legen gedachten, kam es zu allerhand Stürzen.
Kurz gesagt, die Kameraden fielen Ski.
Aber es machte ihnen so großen Spaß, daß sie geschlossen aufstanden und dagegen protestierten, die vorgesehene Neujahrstour auf die Rotwand nicht mitmachen zu sollen.

Nun -- die Rotwand ist kein besonders schwieriger Berg. Sie ist so um die 2000 Meter hoch und läßt sich ganz gut besteigen. Nur es geht eben ziemlich lang aufwärts. Und da wir damals in unserer Skiausrüstung keine Felle führten mußten wir die Skier auch noch tragen.

Bis zum Spitzing-Sattel ging die Sache ganz gut. Den Weg gingen wir schließlich jeden Tag. Wir waren ihn gewöhnt und kaum einer empfand ihn mehr als besondere Schwierigkeit.
Oben konnten wir dann für eine knappe Viertelstunde die Bretter anschnallen, und da es meist einigermaßen eben dahin ging, kam es zu keinen größeren Unfällen.
Auch der weitere Aufstieg ist nicht allzu schlimm geworden. Zwar trugen am Schluß etliche von uns zwei Paar Ski und einer sogar ein Mädchen, aber alle anderen kamen gut über die Runden.

Die Gipfelrast war erhebend. Wir sahen zwar nichts von der Umgegend, denn die Rotwand hatte ihr Haupt in einen dichten Nebelschleier gehüllt, aber wir waren schon zufrieden, daß wir überhaupt da und noch vollzählig waren.

Nun ist es aber bei einer Bergwanderung so, daß man nicht nur hinauf, sondern auch wieder hinunter muß. Und normalerweise steigt man hinauf und fährt hinunter. Manchmal kürzt man das Verfahren dadurch ab, daß man hinunterfällt. Das aber war hier nicht zu befürchten.
So feierten wir also diese Erstbesteigung gebührend und zünftig mit Skiwasser (für Uneingeweihte: auch Eingeweihte wissen nicht genau, was das eigentlich ist) und heißen Würstchen. Dann zogen wir die Anoraks wieder an und schnallten uns die Bretter unter die Schuhe.

Logischerweise müßte nun der Satz stehen: Und dann fuhren wir ab. Aber so weit war es durchaus noch nicht.
Denn nun kamen uns doch allerlei Bedenken. Und so hatten die Gäste, die außer uns noch in der Rotwandhütte saßen, die Freude, Skiunterricht zwei Minuten vor Abfahrt zu erleben:
Wir paukten nochmals alles durch, was wir schon am Abend vorher in der Herberge genauestens durchgesprochen hatten. Dann erst setzte der erste die Stöcke ein und war im Nu in den Nebelschleiern verschwunden.

Nebel kann manchmal ein wahrer Segen sein. Er verhinderte die Aussicht auf das, was uns nun bevorstand. Wir sahen immer nur so knappe fünfzig Meter weit und diese Teilstrecken wirkten insgesamt gar nicht so toll.
Trotzdem kam es zu den ersten kleinen Angstschreien.

"Wenn's gar nimmer geht, zieht die Backenbremse!", hatte der Alte gesagt.
Was die Backenbremse ist, weiß jeder Skifahrer.
Und wer es nicht weiß, der soll sich einmal probeweise auf diese Unglücksbretter stellen. Er merkt dann sehr schnell, mit welchen Backen er notfalls bremsen kann. Es geht auch mit den anderen. Aber dort tut es weh.

Soviel über die Backenbremse. Sie wurde selten so oft gezogen, wie an jenem Neujahrstag 1953. Trotzdem wäre alles gut gegangen, wenn -- ja wenn -- --

Der Nebel hielt es für richtig, endlich zu verschwinden.

Ein herrlicher Blick tat sich auf. Tief unter uns lagen die Täler. Wir standen oben -- auf sonnigen Höhen -- und freuten uns dieses Bildes. Und die Freude wäre ungetrübt geblieben, wenn nicht einer gesagt hätte:

"Und dort hinunter müssen wir jetzt!“

Diese wenigen Worte fuhren manchem wie ein Blitz ins Gehirn. Und von diesem Augenblick war es aus mit der Freude an dem schönen Bild. Was blieb, war Heulen und Zähneknirschen.

Was alles bei der Abfahrt passierte, läßt sich nicht beschreiben.
Da war ein Mädchen, dessen oben noch dunkelbrauner Schianzug unten schneeweiß war.
Da war ein anderes Mädchen, das wir alle zwanzig Meter aus dem Schnee gruben.
Einer der Herren der Schöpfung nahm den letzten Steilhang im Schuß. Zwanzig Meter weit sauste er mit der Geschwindigkeit einer Rakete talwärts. Dann stäubte eine Riesenschneewolke auf und anschließend gruben wir ihn und die Trümmer seiner Latten aus dem Wännlein, das er gebaut hatte.

Aber das war noch nicht das Schönste. Einer hatte mal was von Stemmbögen gehört. Er stemmte also und kam vom Hang ab in die Steine. Dort ackerte er erst ein paar mittlere Felsen um und rauschte dann hinein, daß die Berge zitterten.
Er kam mit eigener Kraft wieder los, fuhr aber nicht weiter, sondern setzte sich auf einen Steinblock und sah zu, wie einer nach dem andern seinen Spuren folgte; Es gab ein Massensterben am Telegrafenhang.

Eine andere Abteilung fuhr inzwischen um diesen bösen Hang herum. Sie hatte den Vorteil, daß sie tiefsten Schnee hatte. Nur hatte dieser Schnee wiederum den Nachteil, echter, g'führiger Pulverschnee zu sein. Bei jedem Sturz gab es eine Wolke. Und nach jedem Sturz gruben wir nach dem Gestürzten.
Es erscheint mir noch heute wie ein Wunder, daß wir alle wiederfanden.

Schließlich aber -- es war inzwischen später Nachmittag geworden -- pfiffen wir unten zum Sammeln. Der Sanitäter fatschte ein Seemannsknie, das den Anforderungen dieses Nachmittags nicht gewachsen gewesen war.
Wir zählten inzwischen die Häupter unserer Lieben. Und sieh es fehlte kein teures Haupt,

Dann aber zogen wir die andere Bilanz.
Ein Paar Ski war nur noch zum Einheizen zu gebrauchen. Es waren die jenes Stieres, der es ganz genau wissen wollte, wie weit man den Hang im Schuß fahren könnte.
Zwei andere Paare hatten zusammen nur noch eine Spitze.
Mehrere Stöcke konnten nicht mehr als Skistöcke sondern höchstens noch als Notschienen für Beinbrüche verwendet werden.
Der Sanitätskasten aber war noch einigermaßen voll. Nur das Riechfläschchen war beinahe ganz verbraucht.

Wir aber waren unten.

Das letzte Stück war eine Spielerei. Die Skilosen durften -- oder mußten -- mit dem Lift zu Tal fahren. Die andern rutschten so recht und schlecht den Weg nach Josefstal hinunter und in der Herberge gab's ein Wiedersehen.

Für alle aber war es ein unvergeßliches Erlebnis. Und immer, wenn ich heute in unseren Winterlagern die tollsten Ausrüstungen sehe, die allen, aber auch wirklich allen Anforderungen entsprechen, denke ich ein bißchen wehmütig an jene Zeit zurück, da wir mit unmöglichen Latten, mit vorsintflutlichen Schuhen und mühselig zusammen gepumpten Ausrüstungen in die Winterlager fuhren und -- --

Spaß daran hatten.

Und immer fällt mir dann der Spruch eines unserer Kumpels ein: "Mit guten Skiern fahren", sagte er, "kann jeder Hirsch!"
Mehr braucht hierzu wohl nicht gesagt zu werden.


olf



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