Bericht von Kreysler über die Beteiligung der SdJ NRW am Lager in Amrum,
Juli/August 1953


Unser A m r u m l a g e r

Endlich sind die Ferien gekommen und damit auch unsere große Fahrt an die Nordsee.
Mit schweren Rucksäcken und guter Laune fahren wir am späten Abend des 29. 7. mit der Straßenbahn nach Wanne-Eickel, um dort kurz nach Mitternacht den D-Zug nach Hamburg zu besteigen.
Wir werden von den sudetendeutschen Kameraden des Rheinlandes, die schon in Köln, Düsseldorf und Duisburg die reservierten Abteile bezogen hatten, herzlich begrüßt und erfahren, dass sich zum Abschied in Düsseldorf viele Kameraden einschließlich unserer Obersten eingefunden hatten.
Es sind noch nicht alle untergebracht, da hält unser Zug in Recklinghausen und noch etliche Kameradinnen und Kameraden steigen zu.

Nach einiger Zeit merken wir alle immer größer werdende Müdigkeit. Einige von uns versuchen, diesem Übel durch Essen abzuhelfen. Doch die meisten machen es sich so gut wie möglich bequem. Manche schlafen in Gepäcknetzen, andere auf der Erde, und viele halb auf den Bänken liegend, mehr oder weniger gut.

Im Morgengrauen kommen wir in Hamburg an. Hier müssen wir umsteigen und haben genügend Zeit, uns etwas die Füße zu vertreten. Dann geht es weiter nach Niebüll.
Der Zug fährt durch ganz flaches Land. Immer wieder sehen wir Windmühlen und bei schönem Sonnenschein überqueren wir den Nord-Ostseekanal. Doch langsam verschlechtert sich das Wetter und Niebüll erreichen wir im Regen.
Arno Steffen der Vorsitzende der Deutschen Grenzland-jugend, empfängt uns mit warmen Semmeln und einer Flasche Milch. Der Regen hatte uns zwar etwas missmutig gemacht, doch jetzt denken wir kaum noch daran.

Sehr bald setzen wir unsere Fahrt in Omnibussen fort. Wir werden immer erwartungsvoller und unruhiger. Bald müssen wir in Bongsiel, und damit an der Nordsee sein.

Endlich ist es so weit! In großer Hast und Eile ersteigen wir den Deich. Da sehen wir die Nordsee vor uns liegen. Hier ist es zwar nur das Wattenmeer, doch schon dieses beeindruckt uns sehr.
Nach kurzer Wartezeit kommen zwei Motorboote an, die fast alle Lagerteilnehmer nach Amrum bringen sollen.

Am Anfang der Überfahrt sind wir alle recht fröhlich und singen viel. Doch bald wird das Meer immer unruhiger; unser Boot schaukelt hin und her. Die Jungen und Mädel, die am Bug stehen, werden von den Brechern ganz nass gespritzt. Da wird auch schon den ersten übel.
Viele müssen Neptun, dem Meeresgott opfern und die Möwen und Fische werden so ungewollt gefüttert. Am späten Nachmittag kommen wir, mehr tot als lebendig auf Amrum an.

Der Fanfarenzug der Grenzlandjugend bereitet uns einen würdevollen Empfang.
Unser Gepäck wird auf einem Auto in das Lager gebracht, und wir machen uns auf Schusters Rappen auf den Weg. Erst müssen wir die ganze Insel überqueren, dann kommen wir zum schönen breiten Weststrand, dem sogenannten Kniepsand. Diesen wandern wir fast alle barfuß entlang bis wir das Quermarkenfeuer, einen kleinen Leuchtturm, sehen.
Dann haben wir bald das Lager erreicht. An einem kleinen Steinhaus vorbei stapfen wir über die Düne, hinter der unsere Zelte stehen.

Nach einer kurzen Begrüßungsansprache werden wir in die Zelte gebracht.
Die Mädel dürfen 7 Zelte belegen, die Jungen 5. Das Lager ist kreisförmig aufgebaut. In der einen Hälfte des Kreises steht ein Zelt für unsere Hohe Lagerleitung, in der anderen 3 Flaggenmasten.
Jetzt werden noch die verschiedenen Dienste eingeteilt. Die Mädel übernehmen den Küchendienst, die Jungen den Lager und Wachdienst.
In dem Steinhaus befinden sich eine Küche und Essräume. Hier bekommen wir als erste Stärkung eine warme Suppe.
Auf der anderen Seite des Hauses, in einer Dünenmulde stehen die vier Zelte des Jungenlagers.

Bald bricht die erste Nacht in den Zelten an. Für durchschnittlich 16 Personen sind diese sonst so geräumigen Zelte doch etwas zu eng. Wenn sich einer der Schläfer umdreht, müssen die anderen sieben, die auf seiner Seite schlafen, wohl oder übel auch ihre Lage verändern. Doch in dem schönen Stroh schlafen wir alle sehr gut, bis der U. v. D. (Unterführer vom Dienst) um 7 Uhr weckt.

Waschen kann man sich hier an der Nordsee, das jedoch nur mit besonderer Erlaubnis, in sehr kleinen Waschräumen im Steinhaus oder und das wird von den meisten bevorzugt, unter dem eiskalten Strahl der Pumpe, die neben dem Lager steht.
Um ¾ 8 Uhr ist Flaggenparade mit Morgenlied.
Danach gehen Mädel und Jungen getrennt zum Essen, weil im Haus nicht für alle Platz ist.

Wir gehen fast jeden Tag baden. Es ist immer herrlicher Seegang und wir freuen uns beim Spiel mit den Wellen sehr. Dass das Nordseewasser salzig ist, wussten wir zwar schon lange, dass der Salzgehalt jedoch so groß ist, haben wir erst hier geschmeckt.

Damit unsere Zeit nicht nutzlos dahingeht, werden wir in Arbeitsgemeinschaften eingeteilt. Man kann singen, turnen, volkstanzen und Laienspielen.
An einem Volkstumsabend in Norddorf sollen wir dann zeigen, ob unsere Arbeit auch Früchte getragen hat.

An manchen Abenden, an denen es nicht regnet, treffen wir Sudetendeutschen uns in der Sudetenkuhle und singen da unsere Lieder aus der Heimat.
Viele Mädel und Jungen aus der Saar, die auch im Lager sind, oder aus Schleswig-Holstein, hören uns zu. Nach dem Singen sieht man hier und da einige zusammenstehen. Auch sie wollen gerne unsere schönen sudetendeutschen Lieder lernen. Oft habe ich ihnen das Lied vom Vuglbeerbaam oder das vom Fuhrmann aus Böhmen vorsingen müssen, und mich mit ihnen gefreut, wenn sie sich an dem für sie schwierigen Dialekt nicht mehr die Zunge zerbrachen.

Am Sonntag ist der Tag der Heimat. Beim Flaggenhissen gedenken wir unseres Sudetenlandes und grüßen die Heimat mit unserem Lied.

Im Tagesplan steht:

10.00 bis 11.30 Uhr baden
12 Uhr Mittagessen, anschließend Freizeit.
14 Uhr Laienspiel üben.

Wir Laienspieler wollen am Volkstumsabend mit einer Satire auf die deutsche Schundliteratur auftreten. Sie hat den vielsagenden Titel: Mädchenraub im Tal des Todes.

Der italienische Räuber Rinaldo Rinaldini und der deutsche Schinderhannes, amerikanische Cowboys und Filmhelden und das deutsche Prinzesschen Übermut mit ihrer Gouvernante traten in diesem Spiel an die Öffentlichkeit. Zum Schluss kommen sie alle durch eine kleine Höllenmaschine um und der sächsische Verleger weiß nicht, wo er von jetzt an seine Volkshelden hernehmen soll.
Wir müssen lange üben und vor allem viel auswendig lernen. Aber was macht das, wenn wir Freude daran haben?

Amrum hat sogar einige Sehenswürdigkeiten. Diese wollen wir an einem schönen Tag besichtigen.
Wir besuchen die alten Hünen, die in den Hünengräbern in den Dünen wohnen. Dann wandern wir weiter. Auf dem Wege zur Vogelkoje, die wir uns besonders gut ansahen, fangen einige Jungen einen wilden Hasen. Das gibt ein großes Hallooo! Doch wir lassen das arme Tierchen bald wieder laufen. Das Ende unserer Wanderung ist eine Besichtigung der alten Fischer-Kirche in Nebel.
Wir kommen sehr müde und hungrig, aber um schöne Erlebnisse reicher, im Lager an.

Heute ist bei uns im Lager ein besonders großer Tag. Arno Steffen hat Geburtstag. Wir wecken ihn mit einem Ständchen. Unsere ältesten Lagerteilnehmer, die Bewohner des Zeltes Jungbrunnen, tun sehr geheimnisvoll. Da gibt es sicherlich eine Überraschung. Tatsächlich! Nach dem Mittagessen bewegt sich ein seltsamer Zug zum Führerzelt hin. Vorneweg eine Bahre. Darauf liegt ein riesengroßes Paket. Dahinter geht die Trauermusik, und darauf folgen die Hinterbliebenen. Vor Arnos Zelt bleibt der Zug stehen. Arno kommt neugierig heraus. Unter dem Gelächter aller Umstehenden bemüht er sich, alle Hüllen von einem Seehund zu entfernen.

Am Nachmittag haben wir eine Aussprache. Wir hören die verschiedenen Probleme der deutschen Grenzlandjugend aus der Saar, aus dem Sudetenland und von Schleswig-Holstein. Schwierige Fragen werden erörtert und Erfahrungen werden ausgetauscht. Am Ende unserer Diskussion wissen wir, dass wir alle, in allen Grenzgebieten und im Inneren Deutschlands Kameraden sind, und dass wir bereit sind, einander immer zu helfen und beizustehen.

Wir sind schon einige Tage auf Amrum, da kommen unsere Deutschlandfahrer aus Bayern bei uns an. Sie stellen ihre Zelte in der Sudetenkuhle auf und verleben die letzte Zeit gemeinsam mit uns.

Wattwanderung Huckepack

Ein besonderes Erlebnis ist für uns Landratten die Wattwanderung nach Föhr. Wir können viele Krebse, schöne Muscheln, Seesterne und auch Quallen sammeln und beobachten. Durch einen tiefen Priel müssen wir die Kleinen tragen, sonst würden ihre Hosen noch nässer als sie sowieso schon sind.
Besonders erfreut sind vor allem die Mädel, dass wir nicht durch tiefen Schlick und Schlamm gehen müssen. Föhr liegt schon ganz nahe vor uns. Da fangen die ersten an, ganz vorsichtig zu gehen. Es sieht zu komisch aus, wie sie mit ihren Armen das Gleichgewicht zu halten suchen. Jetzt merken auch wir was los ist: unter unseren Füßen weicht der Schlamm und wir sinken immer bis zu den Knöcheln in Schlick ein.

So etwas muss man bei einer Wattwanderung auch erlebt haben! Mit Omnibussen überqueren wir Föhr. Von Wyk aus fahren wir dann mit einem Dampfer nach Amrum zurück. Dort erwarten uns wieder Autobusse, die uns nach Norddorf bringen. Bei vollkommener Dunkelheit wandern wir am Strand entlang zum Lager.
Wieder ist ein herrlicher Ferientag zu Ende.

Am Donnerstag ist der Volkstumsabend. Gegen Abend ziehen alle 270 Lagerteilnehmer durch die Dünen nach Norddorf. Auf einem Platz vor der Schule machen wir halt. Es regnete leise, doch wir lassen uns nicht stören.
Die verschiedenen Gruppen singen Lieder aus unserer Heimat und tanzen Volkstänze vor; zum Schluss folgt das Laienspiel.

Es hat trotz Regen alles sehr gut geklappt und die Leitung ist mit dem Verlauf des Abends recht zufrieden.

Den Höhepunkt unseres Lagers bildet ein Lagerfeuer am Vorabend unserer Abfahrt.
Tage vorher haben wir am Strand Treibholz gesammelt und jetzt ist ein großer Holzstoß in einer Dünenkuhle aufgerichtet. Als es dunkel wird, wird er angezündet. Einige ernste Worte werden gesprochen und wir singen einige Lieder. Das Feuer ist nun schon fast niedergebrannt. Wir Sudetendeutschen bleiben noch eine Weile, während die anderen bereits in ihre Zelte gehen.

Kommt Kameraden, schließet den Kreis . . . !

Ich glaube, so schön, wie hier im Kreis um das Feuer haben wir unser Lied noch nie gesungen.


Johann Wolfgang von Goethe:

Dies ist der Jugend edelster Beruf!
Die Welt, sie war nicht, eh ich sie erschuf;
Die Sonne führt sich aus dem Meer herauf,
Mit mir begann der Mond des Wechsels Lauf;
Da schmückte sich der Tag auf meinen Wogen,
Die Erde grünte, blühte mir entgegen;
Auf meinen Wink, in jener ersten Nacht,
Entfaltete sich aller Sterne Pracht.
Wer außer mir entband euch aller Schranken?
Philisterhaft einklemmender Gedanken?
Ich aber, frei, wie mir‘s im Geiste spricht,
Verfolge froh mein innerliches Licht
Und wandle rasch, im eigensten Entzücken,
Das Helle vor mir, Finsternis im Rücken!


Kreysler



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