Jungenschaft Schwaben:
Winterlager auf der Dinser Hütte, 26.12.1965 - 03.01.1966
Bericht


Der Jungenschaftsbrief der DJO Schwaben berichtet in seiner Nummer 1/66:


SENSATION – SENSATION – SENSATION – SENSATION – SENSATION

Zweite Winterexpedition in die Berge der Alpen erfolgreich abgeschlossen.

Schlechtwettereinbruch verhindert Suche nach Robben.
Kurzfristige Änderung des Mottos: Leben bei den Eskimos.

Nach einer unbekannten Tageszeitung gibt nun Juschapress einen ungekürzten Expeditionsbericht, ungeschminkt, schonungslos:


Sonntag,26.12.1965 (Zweiter Weihnachtsfeiertag)

25 harte Männer wagen den Aufstieg zur Dinserschutzhütte.
Aus Buchloe, Illertissen, Betllnshausen, Au, Vöhringen, Neu-Ulm, Haunstetten, Aystetten, Neusäß, Gersthofen, Nördlingen und Bonn sind sie gekommen, um den Kampf mit dem ewigen Eis auzunehmen.
Gerfried bricht mit der jungen Generation frühzeitig auf. Die älteren Eskimos verstauen Proviant und sonstige Hilfsmittel in ihre Rucksäcke. Beim Sportheim Böck wird die letzte Bergsteigergruppe vom Expeditionsleiter des Vorjahrs Herwig Heislerson eingeholt. Der Kampf mit dem Berg und einem nicht zu unterschätzenden Schneesturm kann mit verstärkten Kräften beginnen.
Am Lawinenhang begegnet uns der schon gestern aufgestiegene Karl (Zeisig) und übernimmt einen Teil der Last unsrer Küchenfeen. Gegen halb 5 Uhr, bei Einbruch der Dunkelheit, erreicht der Letzte die Hütte.
Den ersten Teil der Expedition hatten die Träger in besserer physischer Verfassung hinter sich gebracht, als der Expeditionsleiter zu hoffen wagte.
Nachdem einige Lieder die Hütte erdröhnen ließen, Ortfried die Lagerordnung für die Expe-ditionsteilnehmer bekannt gemacht hatte, stellten wir uns gegenseitig vor und erholten uns dann von den Strapazen durch einen tiefen Schlaf.


Montag, 27.12.1965

Nachdem auch die Schläfrigsten unter uns aus den Schlafsäcken gekrochen waren, begannen die besonders Reinlichen (man höre und staune), sich an der Quelle mit freiem Oberkörper zu waschen.
Dann wurde das Lager an der Fahne offiziell eröffnet. Der Gruß unserer Fahne galt nicht nur dem Morgen, sondern auch der Heimat im Osten, Schlesien, Ostpreußen und dem Sudetenland.
Dann begannen die Hangakrobaten eine besonders steile Piste einzutreten. Der Erfolg blieb nicht aus: Unser Dietmar aus Illertissen vermißte schon am ersten Tage seine Schispitze.
Nachmittags kam Expeditionsleiter i.R. Herwig auf die glänzende Idee, den Grundstein für einen echten Iglu zu legen. Nach genauen Messungen betrug der Durchmesser 3,5 m. Über dem Bau der Grundmauern brach der Abend herein, der uns das Leben des Polarforschers R. P. Scott zeigte, der, nachdem er als zweiter den Südpol erreicht hatte, im ewigen Eis umkam.
Unsere ersten Verpflegungsfahrer hatten bis 7 Uhr die Hütte noch nicht erreicht. Karl, Dieter und Gerfried machten sich auf, die Verschollenen zu suchen.
Walter wird mit der Gasflasche im Schnee liegend und nicht mehr ganz bei Sinnen gefunden. Die anderen sind total erschöpft zum Sportheim Böck zurückgekehrt, da ihnen der Einstieg in den Nordhang des Juschajökull zu viele Schwierigkeiten machte. Walter bleibt bei Böck, die andern schleppen sich mit letzter Kraft zur Hütte.
So hatte der Tod Kapitän Scotts auf einmal an Aktualität und Tragik für unsere eigene Expedition gewonnen, als gegen 10 Uhr die Langgesuchten heimkehrten.


Dienstag, 28.12.1965

Der Iglu wird fertiggestellt.
Expeditionsberichterstatter Dietmar Hoffmann schreibt darüber: Dann stand eine fast mannshohe Schneekuppel hinter der Hütte am Hang. Durch einen etwa einen Meter tiefen Graben gelangt man in das verhältnismäßig geräumige Innere. Durch ein mit vereistem Schnee gebildetes Fenster dringt etwas Licht herein und erhellt den Iglu. Leider konnten des schlechten Wetters wegen keine Aufnahmen gemacht werden.
Zwei Versuchskaninchen, Udo und Joachim (Illertissen) wagten es, eine Nacht in dem Schneehaus zu verbringen. Mit reichlich Decken und zwei Schlafsäcken sollte das einmalige Unternehmen zum Erfolg geführt werden. Eine Kerze diente als Beleuchtung und Wärmespender. Um ein Uhr nachts waren die beiden wohlauf und ließen sich auch um 5 Uhr früh nicht dazu bewegen, in die Hütte zurückzukehren.
Ihr einziger Kommentar war: Es ist hier wärmer und ruhiger!

Die Abendgestaltung stand unter dem Motto: Jungenschaftsabend -- Der ritterliche Mann.
Einer Vorlesung über die Belagerung von Brüx folgte eine rege Aussprache über Ritter, Ritterlichkeit, ritterlicher Mann. Die 4 im Jungenschaftsgesetz enthaltenen Tugenden und einige Fragen der Späherprobe wurden heftig diskutiert.


Mittwoch, 29.12.1965

Neuerliches Pistentreten wegen neuerlichen Schneefalls. Der Nachmittag bescherte uns den einzigen halben Tag mit Sonnenschein.
Zwei Eskimos wagten den Sturm auf den Gipfel. Das Spuren durch den tiefen Schnee bereitete große Schwierigkeiten, dennoch war ein Sieg über den Berg zu verzeichnen.
Gespensterabend und Der Geist des Grafen Gudrian.


Donnerstag, 30.12.1965

Der Tag unserer Schiwanderung!
Am Morgen zeigt sich noch ein Silberstreifen am Horizont, doch schon 10 Minuten nach unserem Aufstieg beginnt es zu schneien. Als wir den Lawinenhang überqueren und den Gipfel der Alpspitze bezwingen, empfängt uns ein eisiger Wind.
Eine lustige Abfahrt gibt es zum Böck.
Die Expeditionsteilnehmer trennen sich in zwei Gruppen, eine benutzt die Schiabfahrt nach Maria Trost, die andere fährt im tiefen Schnee über die Keppleralm zu dieser Marienwallfahrtskapelle. Wir sind überrascht über das geschmacklose Innere der kleinen Kirche.
Das Mittagessen besteht aus einigen Broten, mit Getränken versorgt uns die Herbergsmutter des Kath. Jugendheims nebenan.
Danach beginnt der Aufstieg.
Wieder schneit es leicht und der Wald schützt uns vor dem Wind. Dann kommen wir auf eine ungeschützte Stelle; der Wind hat eine volle Angriffsfläche. Mit aller Macht stemmen wir uns gegen ihn. Wie Nadeln stechen die Eiskristalle auf der Gesichtshaut. Endlich ist der schützende Wald erreicht.
Doch wie werden wir den Lawinenhang überwinden? Wie sollen wir am ganz freien Südhang vorwärtskommen?
Nach dem Sportheim Böck beginnt der erste freie Querhang. Der Wind ist zu orkanartiger Stärke angewachsen.

Die Luft wird fast vor dem Munde weggerissen. Es geht nur Schritt für Sohritt vorwärts. Die Handschuhe erstarren zu unförmigen Klumpen.
Vor dem Lawinenhang stauen sich die Kameraden. Es kann nur immer einer unter den überhängenden Wächten diesen Steilhang überqueren.
Darüber rast der Wind mit seinen Schneewolken. Die Gefahr, daß ein Schneebrett abbricht, besteht, doch hoffen wir, daß die Kälte den lockeren Schnee angefrieren läßt.
Nach eineinhalb Stunden hat auch unser Benjamin Alfred aus Haunstetten diese schwierige Passage überwunden.
Die Fichtelhütte ist fast eingeschneit.

Der Südhang bereitet uns größere Schwierigkeiten, als wir erwartet hatten.
An eine Abfahrt zur Hütte ist kaum zu denken, immer wieder peitscht uns der Schneesturm zurück. Endlich kommen wir mit verklebten Augen, aufgesprungenen und brennenden Lippen und steifgefrorenen Gliedern bei der Hütte an.
Dort wartet ein warmes Essen auf uns, das, die drei Küchenfeen Marie-Luise, Margit und Erika vorbereitet haben.
Der zweite Expeditionsabend zeigt das Leben des Eskimojungen Uniak und dessen große Abenteuer.


Freitag, 31.12.1965 (Sylvester)

Am Morgen wird ein Holzstoß neben der Hütte vorbereitet. Wegen des starken Schneetreibens hat man sich dazu entschlossen, heuer nicht auf den Gipfel zu steigen.

Es wird außerdem die Späher- und Wächterprobe abgenommen.
Nach dem Mittagessen beginnt der Schifasching, bei dem die seltsamsten Gestalten den Hang hinunterrasen. Danach wird der Lagerzirkus vorbereitet und das gemütliche Beisammensein am heutigen Abend.
Im Expeditionsbericht ist weiter zu lesen: Um 20 Uhr 30 gab dann der Lagerzirkus Dinswischila sein Gastspiel, ein teilweise lahmes Programm mit einem noch lahmeren Direktor (Karl-Joachim).
Kurz vor Mitternacht begaben wir uns zum Feuer. Jochen, stellvertretender Obereskimo, der inzwischen angekommen war, las Gedanken zum neuen Jahr vor (Siehe Stille Stunde! ). Ortfried ließ es sich nicht nehmen, sich für die Hilfe der Einzelnen zu bedanken und der Hoffnung Ausdruck zu geben, daß das kommende Jahr noch erfolgreicher werden möge.

Roland packte seine Feuerwerkskörper aus und . . .   es war 24 Uhr. Hier endet die Arbeitszeit des Berichterstatters.


Samstag, 1.1.1966 (Neujahr)

Das neue Jahr wurde dann mit einer Feuerzangenbowle begossen.
Es setzten nun lebhafte Diskussionen ein über alle möglichen Themen.
Da es mit dem Aufstehen am heutigen Tage nicht so genau genommen wurde, verschob sich der Tagesplan um einige Stunden. Schließlich wurde um 11 Uhr gefrühstückt, und um 15 Uhr Mittag gegessen.
Trotz Regenwetter wurde der von allen mit Spannung erwartete Abfahrtslauf durchgeführt.

Die Siegerliste:

1. Karl Zeisberger Gersthofen 25 + 24 = 49
2. Gerfried Fischer Bonn 25 + 31 = 56
3. Roland Fischer Bonn 28 + 34 = 62
4. Wolfgang Hauser Buchloe 29 + 36 = 65
5. Werner Geiger Neu-Ulm 40 + 35 = 75
6. Hans-Erich Jähnert Buchloe und 37 + 40 = 77
  Dieter Mudrak Illertissen 48 + 29 = 77
8. Ortfried Kotzian Illertissen 38 + 41 = 79
9. Joachim Zuleger Illertissen 28 + 52 = 80
10. Manfred Dopfer Illertiesen 44 + 40 = 84
11. Roland Hetzer Neusäß 27 + 72 = 99
12. Dieter Leretz Vöhringen 72 + 29 = 101
13. Andreas Lebelt Illertissen 54 + 50 = 104
14. Richard Windirsch Illertissen 67 + 67 = 134

Am Abend wurde diese Siegerliste verkündet und die Preise verteilt. Ebenso wurde dle Bewertung des Lagerwettbewerbs bekanntgegeben.
Der Abend stand unter dem Motto Linien, die Menschen trennen. Es wurde über Europa, das Potsdamer Abkommen, den Eisernen Vorhang usw. diskutiert.


Sonntag, 2.1.1966

Der Abstieg beginnt.
Trotz des schlechten Wetters (5 Tage Schnee, 1 Tag Regen und 1/2 Tag Sonnenschein) war das Lager für jeden ein Erlebnis.
Die Piste war verharrscht und vom Waldrand ab lag kaum noch Schnee. Unsere Köchin büßte eine Schispitze ein und unser Medizinstudent konnte sich in der Schlucht wiederfinden.
Viele Einzelheiten des Lagers werden in Vergessenheit geraten, aber das Erlebnis der Gemeinschaft bleibt bestehen.

 

orko (Ortfried Kotzian)

 



    Home