Nach wochenlangen Vorbereitungen war endlich das große Bundesjungenschaftslager da. Ich konnte es kaum erwarten, denn der Eifer unserer älteren Führer war einfach ansteckend. Das hatte es schon lange nicht mehr gegeben, dass sich die auf eine Sache so gefreut haben.
Und was wurde das Lager in der Rhön für eine Pfundssache!
Alle, die zu Hause blieben, sind zu bedauern! Der dicke Emil aus meiner Schar hat sich deswegen schon grün und blau geärgert. Geschieht ihm auch ganz recht! Er und noch ein paar so kluge Kameraden wollten auch mir die Fahrt in die Rhön vermiesen: „Was sollen denn wir beim Bundesjungenschaftslager?“ So meinte er ein wenig geringschätzig. „Für unsereinen, der schon solange in dem Laden drinsteckt, ist doch das nur ein lauer Massenbetrieb . . . Mensch, und dauernd das miese Wetter in der Rhön . . . trampen wir lieber nach Hamburg, da sind noch echte Erlebnisse drin!“
Junge, Junge, hatte der eine Ahnung! Als ich mich mit zentnerschwerem Affen und allerlei geheimnisvollen Gerät
bepackt, an dem Landesheim von Hessen vorbei durch knöcheltiefen Dreck zum Zeltplatz am Pferdskopf hinauf quälte,
wurde mir doch ein wenig bange ums Herz.
Was hatten die beiden alten Fahrten- und Lagerhasen, deren Unterhaltung ich von Ferne mit anhörte, damals
gesagt: „Was Bundesjungenschaftslager in der Rhön -- nicht weit von der Wasserkuppe? Das kann eine harte Sache
werden! Lass es da mal regnen und in der Nacht die Temperatur auf unter 10 Grad Celsius absinken -- da scheidet
sich der Weizen von der Spreu!“ Harte Sache -- Weizen und Spreu und der ganze Pferdskopf steckt in einer
dicken Regenwolke und dazu pfiff ein Wind . . . Sollte der dicke Emil recht behalten?
Aber da empfingen mich die Kameraden, die bereits in der schwarzen Kohte hockten und wilde Lieder schmetterten,
mit einem freudigen Schlachtruf und meine trübe Laune wie vom Sturm fortgeblasen.
Am nächsten Morgen bei der feierlichen Lagereröffnung traf ich dann auch die Kameraden des anderen Zeltlagers.
Ihr müsst nämlich wissen, dass das Bundesjungenschaftslager aus zwei gegnerischen Zeltlagern bestand.
Das Kohtenlager im GOLDLOCH unterhalb des Pferdskopfes bezogen die Jungenschaftler aus Bayern und Hessen,
am Hang der EUBE -- etwa eine halbe Stunde entfernt -- hatten die Jungenschaftler aller übrigen Länder ihre
Kohten errichtet.
( Bild 01 und
Bild 02 ).
Wie Klaus uns sagte, war dies das erste Bundesjungenschaftslager in der bewegten Geschichte der
DJO-Jungenschaft, an dem nicht nur von jedem Land eine ausgewählte Schar sondern jeder pfundige Jungenschaftler
teilnehmen durfte. Und es waren wirklich pfundige Kameraden -- mehr als zweihundertzwanzig an der Zahl -- die
Jungenschaftler aus Kassel, Würzburg, Ratzeburg, Dortmund, Stuttgart oder wo sie sonst noch überall herkamen. Ich
hatte die meisten von ihnen noch nie gesehen, aber es war mir, als seien es alles alte und vertraute Bekannte.
Ihr werdet mich jetzt sicher für einen schlechten Jungenschaftler halten, aber ich muss euch gestehen, diesmal
in der Rhön habe ich seit meinem Beitritt zur DJO zum ersten Mal eine Ahnung davon erhalten, was es heißt, einem
großen Bund anzugehören.
Dauernd war es furchtbar interessant und Aufregend, in dieser urwüchsigen Rhön-landschaft konnten wir uns wirklich austoben. Sicher das ganze Gebiet steht unter Landschaftsschutz, und wie uns Klaus sagte, durften wir nur mit besonderer Genehmigung unsere Kohten aufschlagen. Dementsprechend mussten wir uns auch ordentlich aufführen, auf Tiere und Pflanzen achten und nichts abreißen und beschädigen. Aber wozu sind wir denn Jungenschaftler, wenn wir das nicht fertiggebracht hätten?
Sobald wir also nicht selbst abenteuerdurstig durch die Gegend streiften, lockten uns unsere stets
einfallsreichen Lagerfürsten durchs Gelände.
Da hatten sie doch einen Jungenschaftslauf mit Aufgaben und Hindernissen ausgebrütet, die mir nicht im Traum
eingefallen wären.
So mussten wir unter vielen anderen Stationen mit Karte und Kompass bewaffnet auf schnellstem
Wege den steilsten Felsgipfel des Pferdskopfes erstürmen. Als wir oben schweißtriefend und mit ausgehechelter Seele
anlangten, forderte uns der Kontrollposten freundlich grinsend auf, ein munteres Fahrtenlied zu singen!
Nun, der war bestraft genug, denn er musste sich unser Gestöhne anhören!
Aber es sollte noch Tolleres folgen. Die letzte Aufgabe lautete nämlich: „Wählt den kürzesten Weg zurück
ins Lager! Jeder bringt ein lebendiges Tier mit!“ Die Folge davon war natürlich, dass es in unserem Zeltlager
tagelang von Mäusen, Käfern, Regenwürmern, Fröschen, Schlangen und allem, was in der Rhön sonst noch kreucht und
fleucht, wimmelte.
Ich will euch hier natürlich nicht alles erzählen. Es waren die Lagerfeuerabende mit spannenden Erzählungen, nervenzerfetzende Geländespiele, die heiße Schlammschlacht am eiskalten Gukaisee und . . . ja Männer das -- weshalb es sich überhaupt lohnt von diesem Lager zu sprechen, warum ich so begeistert bin und glaube, dass das diesjährige Bundesjungenschaftslager in die ruhmreiche Geschichte der Jungenschaft mit goldenen Lettern eingehen wird, von dem ich noch meinen Söhnen voll Stolz berichten werde, das war die große Schlacht der Hunnen gegen die Burgunder.
Diese ganze Begebenheit lasst euch von einem Kameraden näher berichten, der eine bessere dichterische Ader hat. Nur so viel sei hier gesagt, dass wir, die Burgunder, aber auch im anderen Lager, die Hunnen, tagelang nicht aus unseren Gewändern und Waffen herauskamen, dass anfangs unsere Begegnungen noch friedlich verliefen, zum Schluss aber in einem fürchterlichen Kampf endeten, genau so, wie ihr es in der Nibelungensage nachlesen könnt.
Lasst mich euch nur noch von einem Erlebnis berichten, das mich in einer ganz anderen Weise beeindruckt hat.
Nach dem Kompass führte uns Klaus mehr als fünfundzwanzig Kilometer querfeldein, bis wir schließlich an
einem einsamen Grenzstein standen. Auf der einen Seite war das Wappen Hessens, auf der zweiten das Wappen Bayerns
und auf der dritten Seite das Wappen des Landes Thüringen.
Die Grenze zwischen Hessen und Bayern ist nicht durch den geringsten Trennungsstrich gekennzeichnet,
gegenüber Thüringen durchschneidet jedoch ein unendlich langer frischgepflügter Streifen Täler und Berge.
Die Felder und Wiesen dahinter unterscheiden sich nicht von denen Hessens und Bayerns, aber doch wirkt das
Thüringer Land unheimlich und drohend. War es der hölzerne Wachturm drüben am Hügel oder die bisweilen hinter den
Sträuchern auftauchenden Bewaffneten, die das friedliche Bild störten?
Unser sonst so munterer Haufen blickte stumm hinüber.
Ich habe seitdem viel über die Aufgaben unseres Bundes und auch über den eigentlichen Sinn unseres Bundesjungenschaftslagers in der Rhön nachgedacht.
Euer THULE
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