KLEINE CHRONIK GROSSER TAGE

Erinnerungen an die Sudetendeutschen Tage 1950 bis 59

Eine Plauderei aus der SdJ-Geschichte, für alle, die dabei waren und dabei sein werden.

Kempten 1950

Wenn der Sudetendeutsche Tag in Kempten hier als der erste Sudetendeutsche Tag bezeichnet wird, so ist das eigentlich eine historische Unrichtigkeit. Es fanden schon vorher Sudetendeutsche Tage statt, in Forchheim und Ingolstadt zum Beispiel. Aber dort mietete man zu diesem Zwecke noch einen mittelgroßen Saal und freute sich, wenn er einigermaßen gefüllt war. Trotzdem muss man auch diesen Tagen ihre Bedeutung lassen. Sie haben allerlei dazu beigetragen, dass es später anders wurde.

Für uns, für die SdJ aber ist und bleibt Kempten der erste Sudetendeutsche Tag, schon allein deshalb, weil dort zum ersten Mal ein Zeltlager der Jugend stand. Außerdem wurden die Teilnehmer dort zum ersten Mal gründlich nass, man fror auch dann noch, wenn man sich zum Schlafen in die Lagerfahne wickelte.

Es gab auch zum ersten Mal Gemeinschaftsverpflegung, darunter auch Bonbons aus amerikanischen Beständen, deren Reste später im Gaisthallager mit Hilfe eines mittelschweren Beiles zur Verteilung kamen. Der erste Volkstumsabend stieg und sah die Jugend als Zuschauer im Saal.

In Kempten passierte fast alles zum ersten Mal und da noch kein Mensch daran gewöhnt war, neigte man dazu, all diese Dinge zu überschätzen. Trotzdem war Kempten ein Anfang und der dortige Tag steht in den Annalen der SdJ an bevorzugter Stelle.


Ansbach 1951

Ein Jahr später sah die Sache schon ein bisschen anders aus. Denn zwischen Kempten und Ansbach lag unser erstes Grenzlager in Gaisthal. Wir wussten schon mehr voneinander.

In Ansbach hatte die SdJ das erste und einzige Mal in der Geschichte der Sudetendeutschen Tage eine feste Unterkunft. Und wenn die alten Listen stimmen, dann waren immerhin runde siebenhundert Mädel und Jungen in der Luitpold Schule untergebracht. Die Führerschaft -- damals war eben die Diskussion um das Wort Führer entbrannt und man konnte es nur im internen Kreis verwenden! -- die Führerschaft fand im Keller Unterkunft. Und alles, was zur Lagerleitung gehörte, schlief von Samstag bis Montag so viel, dass Ossi Böse am Montagabend stehend, mit der Hand am Lichtschalter einschlief.

Wir hatten ja auch gar keine Zeit zum Schlafen. Noch hatte alles den Reiz des Neuen. Noch kümmerte sich jeder um alles und hie und da gab es kleine Kompetenzschwierigkeiten. Und vieles, was heute bereits Routine geworden ist, war damals neu und aufregend.

Man war überall dabei und ärgerte sich über den und jenen Kameraden der dazwischen herummeckerte. Besonders der damalige Führer von Freising zeichnete sich hierbei so sehr aus, dass der Lagerleiter wütend fragte: „Wer ist denn dieser Giftzwerg?". Nun -- der Giftzwerg hieß Walter Richter und nahm später die Finanzen des Haufens in Verwaltung.

Aber etwas ließ Ansbach zu einem unvergesslichen Erlebnis werden. Bei der Jugendkundgebung sangen wir zum ersten Mal nach dem Krieg in aller Öffentlichkeit das Deutschlandlied. Und mit einem Mal hatten wir andere Gesichter. Vielleicht wurde uns in diesen Minuten klar, dass wir am Anfang eines neuen Weges standen, eines Weges, der uns irgendwie in unser Deutschland führen soll und den wir damals in Ansbach bewusst zu gehen begannen.


Stuttgart 1952

Beim Sudetendeutschen Tag in Stuttgart stand immer noch ein relativ kleines Häuflein unter der Lagerfahne, als das Lager eröffnet wurde. Immerhin wagten wir uns damals zum ersten Mal mit einer eigenen Gestaltung an die Öffentlichkeit: Mit einer Abendfeier in der Waldbühne.

Ansonsten ist von diesem Sudetendeutschen Tag nicht allzu viel zu vermelden.

Erwähnenswert wäre höchstens ein Überfall, wegen dem Erich Kukuk das ganze Lager in Aufruhr versetzte. Und dieser Überfall durch die FdJ wäre garantiert abgeschlagen worden, wenn er stattgefunden hätte.

Mehr zu sagen ist vom Sudetendeutschen Tag in


Frankfurt 1953

Der hatte drei besondere Kennzeichen: Erstens war der Lagerplatz der bisher einzige, auf dem weit und breit kein einziger Baum, Strauch, mit einem Wort kein bisschen Schatten zu finden war. Dafür knallte zweitens die Sonne von Samstag früh bis Montagabend ihre heißesten Strahlen auf die Zelte. Und drittens durften wir nur zuzerlweise, jedes Mal mit 200 bis 300 Leuten marschieren. Und wir waren damals schon ein weit größeres Häuflein.

Auch sonst passierte allerlei.
Zunächst war da die Sache mit den Sonnenschirmen. Es war eigentlich keine Sache, sondern mehr eine Idee. Als wir nämlich zur Großkundgebung aufmarschierten und dann von der Rednertribüne zusahen, wie die sich versammelnden Landsleute unter der prallen Hitze litten, meinte der Boss: „Jetzt müssten wir Sonnenschirme verkaufen -- das wäre ein Geschäft!"

Wir grinsten ungläubig, während Ossi seine erste Rede vor dem Mikrophon hielt. Sie war nicht sehr lang, sie war -- um bei der Wahrheit zu bleiben, eigentlich kürzer als kurz. Dafür wurde der Text dieser Rede vollinhaltlich überliefert, er lautete: „Landsleute! Der Einsatzwagen des Roten Kreuzes befindet sich rechts neben der Tribüne!" Immerhin aber gaben diese Worte dem Boss Gelegenheit, die Scheu vor Mikrophon und einer großen Menge zu überwinden und es muss ihm -- wiederum um der historischen Wahrheit willen -- bescheinigt werden, dass er seine Sache sehr gut machte.

In den Pausen zwischen den Wiederholungen seiner Rede aber, kam er immer wieder auf die Sonnenschirme zurück. Wir ließen uns von seiner Begeisterung mitreißen und entwarfen verschiedene Muster: Schwarzrotschwarzer Stiel mit dezent grünem Schirm -- blauweißer Griff mit himmelblau/rosa gestreiftem Dach und schwarzrotschwarzen Franzen -- die Schirme wurden immer bunter. Auch der Preis stand schon fest. Nur warten wir seit Frankfurt vergeblich darauf, dass es wieder einmal Sonnenschirmwetter gäbe.

Immerhin aber vertrieben uns die Sonnenschirme die Zeit bis zum Beginn der Großkundgebung, der lange auf sich warten ließ. Dann aber kam eine lange Rede, an deren Ende uns endlich versichert wurde, dass Gott lebe und sein Tag kommen werde. Inzwischen schleppten wir laufend die Landsleute ab, die nicht so lange warten konnten. Die Kameraden vom Fanfarenzug der Grenzlandjugend, an kühlen Wind und allerlei Feuchtigkeit besser gewöhnt, als an direkte Sonnenbestrahlung, stützten sich längst auf ihre Hupen und fielen schließlich in Linie um.

Es war eine große Schlacht. Als sie zu Ende war, hatten wir einen Sonnenbrand und das Rote Kreuz alle Hände voll zu tun, um die Sonnenleichen zu betreuen.

Der Boss aber hatte endgültig den Entschluss gefasst, einschlägige Preislisten für Sonnenschirme anzufordern, um nie wieder in die Lage zu kommen, solche Gelegenheiten zu einem Geschäft ungenutzt verstreichen zu lassen.

Die Sonnenschlacht wurde geschlagen, und rotgesichtige SdJler fuhren heimwärts. Ein Jahr später wären sie für einen Bruchteil dieser Hitze von ganzem Herzen dankbar gewesen.


München 1954

„Für München brauchen wir etwas Besonderes!" stellte der Boss fest. Er lehnte dabei am Heizkörper im Heiligenhof-Gästezimmer und sagte nach obiger Feststellung noch einmal befestigend: „Da hilft uns kein Herrgott nicht, für München muss was Großes her."

Also wurde überlegt. Und so entstand die erste Feierstunde. Mal was anderes! hatte der Boss befohlen und so wurde es eben mal was anderes.

Bei der Generalprobe am Freitag regnete es, was nur vom Himmel herunterging. Die Scheinwerferleute bebten in Angst vor Kurzschlüssen und hätten ihre Töpfe am liebsten in Watte gepackt; die Mikrophone funktionierten nicht, der Regisseur brüllte und wir froren gottjämmerlich. Statt einer Stunde dauerte die Geschichte deren drei und wir dachten bangend an den nächsten Tag. „Wenn das morgen so gießt ... " sagte der Ossi. “Hör auf!" schrie die Gretl, die nun mal nichts dafür übrig hat, wenn man den Teufel an die Wand malt.

Der Samstag kam. Die Wolken hingen bis dicht an die Frauentürme -- aber es regnete nicht und alles ging glatt.
Am Samstag waren wir noch davongekommen.
Aber am Sonntag!

Dabei fing es so nett und harmlos an. Schon am frühen Morgen schien die Sonne. Wir warfen uns frohgemut in die Grauhemden. In den Mädelzelten wurden die Fest- und Feiertagsdirndln ausgepackt und über mäßige Zerknitterung unmäßig gejammert und schließlich tauchte die Damenwelt strahlend schön wie der Pfingstmorgen persönlich aus dem Dämmern der Zelte auf. Überall im Lager wurde gesungen, die Photographen -- ein notwendiges Übel, aber lange nicht so notwendig, wie übel -- luden ihre Kameras, die Fanfarenzüge versammelten sich zu einem Probestart und dann ertönte es aus dem Lautsprecher: „Länder- und bezirksweise antreten zur Großkundgebung"!

In den Lagerhöfen formierten sich die Marschblocks. Vor dem Führerinnenzelt aber gab es noch eine Debatte:
„Ob wir nicht besser die Anoraks mitnehmen?" erkundigte sich eine besorgte Landesmutter bei der obersten Instanz.
„Anoraks?" -- die Bundesmädelführerin tat so, als hätte man sie persönlich beleidigt.
„Na ja, es könnte immerhin regnen!", zweifelte eine andere.
„Es regnet nicht!" entschied die Gretl.
Also blieben die Anoraks in den Zelten und blieben deshalb fürs erste trocken. Die Sonne brannte niederträchtig.
Und als wir aus dem Lager heraus waren und etwas mehr vom Himmel sahen, fiel dem und jenem eine prächtige Gewitterwolkenwand auf, die anscheinend auch zur Großkundgebung wollte.
Auf der großen Theresienwiese sah das Häuflein der Getreuen nicht gerade imponierend aus. Weit draußen stand unser Fahnenblock, fertig zum Einmarsch. Die Mädel waren gerade an der Straße, als die ersten Tropfen fielen. Tropfen, so groß wie Glasmurmeln. Sie störten niemanden, alle hielten durch.
Nur im ersten Glied tuschelte eine in Richtung zur Gretl: "Da hastes!"
Vielleicht hätte sie das nicht sagen sollen, denn nun öffnete der Himmel seine Schleusen. Es goss ….

Über der Theresienwiese stand ein Wald von Regenschirmen und auf der Tribüne wurden über alle wichtigeren Häupter ebenfalls die schwarzen Dächer entfaltet. Unsere heroischen Damen aber standen. Der Egerländermarsch klang ein bisschen dünn und ging beinahe im Plätschern des Regens unter. Und während sich der Fahnenblock in Bewegung setzte und in die Mittelstraße einbog, löste sich der Mädelblock langsam in Wohlgefallen auf.

Die Kundgebung ertrank. Sie war ausnahmsweise kurz. Und sofort nachher gab es nur noch eine Parole und die hieß: Alles in die Zelte!

Und der Regen nahm diese Aufforderung verdammt ernst. Er trommelte auf die Zelte, als wolle er auch hinein. Und als er erkannte, dass er es von oben wahrscheinlich nicht schaffen würde, versuchte er es von unten und schaffte es schnell.

Am Montag versammelte sich ein feuchter Verein in einer zugigen Fahrradhalle. Die pfingstfrisierten Lockenhäupter hatten sich in Strähnen behängte Alltagsköpfe verwandelt, die Decken waren klamm, die Trainingsanzüge feucht, die Fest- und Feiertagsdirndl waren nasse Lappen und die Stimmung war unter null.

Das war die Mär vom großen Regen. Als wir am Montagnachmittag auseinandergingen, meinte der Boss aus tiefstem Nachdenken heraus und mit spürbarer Erleichterung in der Stimme: „Gut, dass wir keine Sonnenschirme besorgt haben!", womit er zweifellos recht hatte.


Nürnberg 1955 und 1956

Zwei Jahre hintereinander war Nürnberg der Schauplatz des Sudetendeutschen Tages. Nürnberg ist uns in angenehmer Erinnerung, denn erstens gab es dort keinen Kummer mit dem Wetter und zweitens wickelte sich in Nürnberg vieles völlig reibungslos ab, was anderswo langer Debatten bedurft hätte. Ein Sonderlob gebührt dabei der Nürnberger Polizei, die sich immer und allezeit als Freund und Helfer im wahrsten Sinne des Wortes zeigte und nicht einmal ungehalten wurde, als wir während des Marsches zur Feierstunde den Marschweg ändern mussten, weil wir bei dem ursprünglich vorgesehenen Weg bestenfalls mit etlichen zwanzig Fußkranken am Ort der Feierstunde angekommen wären.

Dabei und daneben ist aber noch allerhand passiert. Da war z. B. die Sache mit den Sitzkissen. Die Spitzen der Landsmannschaft und die Ehrengäste mussten auf Steinstufen Platz nehmen. Zur Schonung des Granits und etlicher erlauchter Sitzflächen hatte die Leitung des Sudetendeutschen Tages Schaumgummikissen aufgelegt. Diese Kissen waren hinterher spurlos verschwunden. Sonderbarerweise wollte man ausgerechnet von uns wissen, wo sie geblieben waren. Wir aber wussten es nicht (obwohl unser Heiligenhof zur gleichen Zeit neue Stuhlkissen bekam).

Und in Nürnberg passierte auch die nette Sache mit den Schönsten zwoi vo unsrer Gmoi. Da kam die Lagerwache in die Lagerleitung und brachte zwei muntere Knaben mit. Sie murmelten etwas von Fundgegenständen und ließ die beiden da. Uns fiel zunächst die Ausrüstung auf, sie bestand in je einer Flasche Bockbier und einem gemeinsamen Damenschirm, den die beiden dazu benutzt hatten, die äußere Feuchtigkeit von der inneren fernzuhalten. Wir versuchten zunächst, einige Erklärungen von den beiden zu bekommen. Dies war aussichtslos, weil sie für jedes einzelne Wort länger brauchten, als wir Zeit hatten. Deshalb wiesen wir sie in eine der Zellen ein, die von der vorsorglichen und schon einmal mit Lob bedachten Nürnberger Polizei für solche Zwecke eingebaut worden waren. Dort fühlten sie sich zuerst ganz wohl, was dadurch zum Ausdruck kam, dass sie runde zwei Stunden lang dasselbe Lied sangen, dessen Kehrreim lautete: Wir san die Schönsten zwoi vo unsrer Gmoi! Als sie uns das lange genug versichert hatten und wir schon geneigt waren, es zu glauben, legten sie eine andere Platte auf. Sie beschworen nacheinander alle Anwesenden, doch endlich die Türe zu öffnen. Als das nicht fruchtete, begannen sie, ebendiese Anwesenden zu beschimpfen und ihnen furchtbare Dinge anzudrohen, falls einer von ihnen jemals in ihr Land käme. Als auch das nicht zu einer Befreiung verhalf, schliefen sie ein. Sie schliefen so fest, dass wir sie am Morgen beinahe unter Gewaltanwendung wecken mussten. Dann schnappten sie sich ihren Schirm, tranken demonstrativ den letzten Rest aus ihren Flaschen und wanderten zu ihrem Landesführer, um sich zu beschweren. Was der ihnen erzählte, eignet sich nicht zur Überlieferung.

Beim zweiten Sudetendeutschen Tag in Nürnberg hatte man uns die Gestaltung der Großkundgebung übertragen. Sie begann deshalb auf die Minute pünktlich und endete ebenso zeitgerecht. Und mit unserer Feierstunde Wir rufen Deutschland am Sonntagabend hatten wir endgültig den Stil unserer Gestaltungen gefunden und die Feierstunden der Jugend gehören seither zu den unerlässlichen Bestandteilen eines Sudetendeutschen Tages.


Stuttgart 1957 und 1958

Der zweite Sudetendeutsche Tag in Stuttgart stand im Zeichen des Heiligenhofumbaus. Wie eigentlich jedes Jahr versuchten wir Bausteine zu verkaufen, um die mit der sturen Regelmäßigkeit der Sudetendeutschen Tage wiederkehrenden Finanzierungslücken zu schließen. Diesmal fanden wir den richtigen Werbespruch: Landsleute, Sie haben ein Dach überm Kopf, unser Heiligenhof hat keines, bettelten die Sammler. Und da es regnete, griff mancher Landsmann in die Brieftasche und steuerte sein Scherflein bei. Und weil außerdem die Spielscharen am Werk waren und für den Heiligenhof sammelten, waren wir mit dem Erfolg zufrieden.

Am Sonntagabend forderten wir in der Waldbühne unser Recht für alle. Und es war das erste Mal, dass nach einer unserer Feierstunden alle auf den Plätzen blieben und ein großes Schweigen über dem weiten Rund der Waldbühne stand, bis der letzte Fackelträger den Platz verlassen hatte.


Wien 1959

Zu Pfingsten 1959 hieß die Parole Auf nach Wien!, der Sudetendeutsche Tag fand außerhalb des Bundesgebietes statt und wurde zu einer großen Kundgebung des Willens zum Kampf um die Heimat.

Wie alle großen Ereignisse warf er seine Schatten voraus. Und wie eigentlich immer zerbrach man sich die Köpfe darüber, was alles eventuell passieren könne. Manchen unserer Jungen zog ein besorgter Landsmann an der Grenze das Grauhemd aus, der Knoten sollte zu Hause bleiben (und blieb natürlich nicht dort), beschwörende Rundschreiben warnten vor allen Demonstrationen, wir sollten nicht marschieren dürfen, kurz -- es gab noch wenige Wochen vorher nichts als Schwierigkeiten.

Schwierigkeiten -- und zwar nicht nur gedachte -- aber gab es eigentlich nur mit der Wiener Terminologie. Wer von uns dachte auch daran, dass ein Kondukteur, der die Retourbillets kontrollieren will, nichts anderes ist als ein Schaffner, der die Rückfahrkarten knipst? Aber noch schwieriger war, dass in Wiener Ämtern eigentlich keiner für irgendetwas verantwortlich, dafür aber mindestens für alles zwei Leute kompetent waren. Jedenfalls lernten wir in Wien rasch die Hochachtung vor einer Bürokratie, zum Beispiel, als uns am Donnerstagabend auf unsere besorgte Nachfrage mitgeteilt wurde, dass der Transport Zelte zwar in Wien gelandet, aber bittschön erst noch die Feiertog vom Zollamt abgefertigt werden könnte.

Doch auch diese Hürde wurde mit Hilfe guter Beziehungen -- wie so viele -- genommen und am Samstag konnte man vergessen, dass man in Wien war. In allen Lagergassen formierten sich die Marschblocks, es trommelte und hupte an allen Ecken und Enden, wie immer war Erich heiser, memorierte Ossi den Text seiner Rede, um hinterher eine ganz andere zu halten, trafen die offiziellen Vertreter der Bundesführung ein, schwamm die Anmeldung und ruderte Dieter Max, der wie immer alle um Haupteslänge überragte, seine Anordnungen in die Landschaft. Tausend Leute wollten tausenderlei wissen, die ersten besorgten Mütter erkundigten sich nach dem Wohlergehen ihrer Sprösslinge, der Fressalienstand war fast ausverkauft, kurz -- der Sudetendeutsche Tag begann, wie vorher zehn Sudetendeutsche Tage begonnen hatten.

Und das Programm rollte: Lagereröffnung, Volkstumsabend -- der mit mehr als einer Stunde Verspätung begann, weil man viel zu lange brauchte, um Kulturpreise zu verleihen --, Lagerruhe, die nur gestört wurde, wenn es nächtliche Schwierigkeiten gab, weil auf einigen Schlafplätzen die Lagergeräte zur Ruhe gebracht worden waren.

Und dann brachte der Sonntag einen neuen Besucherrekord bei der Großkundgebung und die hermetischste Absperrung durch die sturste Polizei, die wir je erlebten.

Stille lag über dem weiten Platz und alles versank, als Dr. Lodgman von Auen seine Aufgabe in die Hände der Jugend legte. Wir spürten, was damit geschah. Und für einen Augenblick lag dieses Geschehen -- auch auf unseren Schultern wie eine Last.

Am Sonntagabend trugen wir unsere Fackeln durch Wien. Zehntausende gingen mit uns, Hunderttausende standen wie Mauern an den Straßen. Und es war so still, dass die Schläge der wenigen Trommeln dröhnten wie fernes Gewittergrollen.



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