Durch Recht zum Frieden

Sudetendeutscher Tag 1962 in Frankfurt

Ein Bericht der SdJÖ

So fängt es immer an: eine lange Nacht im Zug, Lieder und Lachen und der zähe Kampf zwischen denen, die schlafen wollen und denen, die es nicht wollen. Gelegentlich sieht man einen auswandern, weil es ihm dort, wo er war, zu laut ist oder zu leise, je nachdem. Spätestens in Passau brennt in allen Abteilen das blaue Nachtlicht. Jetzt gibt es nur noch solche, die schlafen können und solche, die es nicht können.

Und so geht es weiter: Man ist auf einmal da, in der großen, fremden Stadt, man begreift nicht, daß man wirklich da ist, und man begreift die Stadt nicht.
Es ist nichts Überwältigendes in dieser ersten Begegnung. Straßenbahnen, Nummern und Buchstaben, mit denen man nichts anzufangen weiß, lange Straßen, die irgendwohin führen, Gedränge, Autos links und rechts. Wir stehen mitten drin, das Neue schlägt über uns zusammen wie eine Welle, das ist alles.

Und dann geschieht es irgendwann. und es ist in zehn Jahren immer irgendwann geschehen, daß einer sagt, was in diesem Augenblick alle denken: Ich freue mich, daß ich dabei bin, und ich werde im nächsten Jahr wieder dabei sein! Was zählt es dann noch, daß man eine Nacht nicht geschlafen hat, daß man von einer Probe zur anderen jagte, daß man kaum Zeit zum Essen hatte? Und all das Anstrengende, wir möchten es nicht mehr weg denken aus dem Erlebnis, es ginge uns etwas ab, wenn es fehlte.
Weißt du noch? Das erstemal in Nürnberg, als wir zur Burg marschierten und so erbärmlich froren, daß uns die Finger steif wurden um den Wimpel? Und wie wir in Stuttgart bei strömendem Regen heraus mußten, um den Mädchen Gräben um die Zelte zu ziehen? Und mit welchem Neid wir in München zu der Wasserflasche auf dem Rednerpult starrten, weil uns die Zunge am Gaumen klebte?
Kälte, Regen, Durst, nichts ist davon vergessen, und wir reden gern davon.

*

Es ist Abend, der erste an diesem Sudetendeutschen Tag.
Tausende von Landsleuten sind unterwegs, kommen aus hell erleuchteten Hallen, ziehen in Gruppen umher. Wir sind eben vom Volkstumsabend in der Kongreßhalle gekommen und warten vor der Messehalle auf das Zeichen zum Einzug, denn wir sollen den Turnerabend mit Liedern und Volkstänzen beschließen. Es dauert etwas lang, und ein paar beginnen schon zu lästern.
Dann fängt einer an, und wir stehen im Kreis und singen unsere Lieder. Bald ist ein zweiter, größerer Kreis da, und der wird immer größer. Dieter Max taucht auf, der Landesführer von Bayern,und mit ihm zwei Männer.
Dieter murmelt einen englischen Namen, den anderen braucht er uns nicht zu nennen. Wir haben nicht nur sein Bild gesehen, wir haben seine Vorträge gehört, wir haben sein Buch gelesen, wissen um den Kampf dieses Mannes, daheim, in der Fremde und in der Vertreibung. Es ist Wenzel Jaksch.
Nun steht er in unserem Kreis, und wir singen Blüh nur, blüh, mein Sommerkorn, Lieder aus seiner Heimat, aus unserer Heimat, fröhliche und schwermütige, und dann Heimat, dir ferne.

Es ist nur eine Viertelstunde, aber sie macht uns reich, wie oft das Zufällige, das abseits vom Weg liegt, das Schönste ist an einer groß geplanten Fahrt.
Viele der Landsleute sind stehengeblieben und still geworden. Und die Sterne stehen wirklich über uns in einer Nacht, die mild und hell ist nach so vielen grauen Tagen.

*

Und dann geschieht es zum zweitenmal. Einmarsch zur Großkundgebung!
Viertausend Burschen und Mädchen sind nach Ländern und Bezirken angetreten. Die Spielscharen marschieren hinter dem Fanfarenzug, und dann kommt der Fahnenblock.
Rudi trägt zum erstenmal die Bundesfahne Österreichs. Wir sehen den silbernen Adler an der Spitze, und in dem Wald von Hunderten von Wimpeln entdecken wir immer wieder einen Wimpel aus Österreich.
Fahnen und Wimpel, Fanfaren und Trommeln, lange Kolonne und Hunderttausende auf dem weiten Platz: Sudetendeutscher Tag 1962 in Frankfurt.

Durch Recht zum Frieden!
Es spricht der Ministerpräsident von Hessen, es spricht Doktor Seebohm. Und wir wissen: Wir sind auf dem rechten Weg und willens ihn zu gehen in entschlossener Menschlichkeit. Das Gute tun, damit es in der Welt ist, so hat es eine Dichterin aus unserer Heimat gelehrt, ohne Wenn und Aber. Und dasselbe sagen die Worte, die wir hören.
Es ist noch nie so klar gesagt worden wie an diesem Sudetendeutschen Tag, und das ist für uns, die wir immer nach neuen Wegen gesucht haben, die große Stunde von Frankfurt.

*

Wieder ist es dunkel geworden: Die Fahnengruppe zieht ein in das weite Viereck vor dem Römer, und die Viertausend ziehen ein und alle jene, die teilhaben wollen an dem Bekenntnis, mit dem die Jugend den Sudetendeutschen Tag beschließt.

Nun ist, was am Tage gesagt wurde, übersetzt in das Wort des Dichters, und es klingt weit hin zum Dom, wo durch Jahrhunderte die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gekrönt wurden, zur Paulskirche, wo vor mehr als hundert Jahren Deutsche aus allen Teilen des Reiches zusammenkamen, um eine neue Ordnung zu begründen:

Laßt uns es sein, die das Recht vertreten,
das heilige Recht nach Gottes Gebot -
Laßt uns dafür sprechen, kämpfen und beten,
daß Gott uns hilft, zu 'senden die Not.

Laßt uns es sein, die fest darauf bauen,
daß auch das Unrecht einst unterliegt.
Laßt uns auf Gott und darauf vertrauen,
daß mit ihm zuletzt die Wahrheit siegt.

Laßt uns es sein, die den Frieden künden,
und jeder, der guten Willens ist,
soll mit uns gehn, ihn auch wirklich zu finden,
bevor ihn die Welt für immer vergißt!

Die Fackeln werden entzündet, hunderte Lichter brennen auf, tausende, und sie leuchten eine lange Straße dorthin, wohin die Zelte stehen.

*

Nachts im Römer, im Kaisersaal.
Die Bilder aller Kaiser des Heiligen Römischen Reiches sind in die Nischen gemalt. Karl der Große, der zum erstenmal das Abendland einig machte, an der Stirnseite. Und dort Karl IV., den man zum zweitenmal den Großen nennen dürfte, weil in seinem Reich noch einmal das Viele eines war.
Immer größer wird seine Gestalt einem Jahrhundert, das Hitler und Mussolini, Stalin und Roosevelt erlebt und überlebt hat, und Masaryk und Benesch.
Es ist eine feierliche Stunde, wie die eine war, auf der Kaiserburg in Nürnberg, und die andere, als wir in Wien vor der Krone des Reiches standen, und in Köln vor den Türmen, die uns Deutschen das Abendland sind.

*

Mit der Feierstunde am Pfingstsonntag klingt der Sudetendeutsche Tag aus. Aber noch stehen die Zelte im Jugendlager.
Zum letztenmal ziehen die viertausend Jungen und Mädel mit ihren Fahnen und Wimpeln in der Halle ein.
Die Sieger in den Pfingstwettkämpfen werden bekanntgegeben und mit ebenso stürmischem Gebrüll gefeiert wie Ossi Böse, der heute Geburtstag hat.
Dann spricht Doktor Seebohm noch einmal zu uns, und eine Morgenfeier schließt das Lager ab: Herzlich tut mich erfreuen die fröhlich Sommerzeit.

*

Und so hört es immer auf: Eine lange Nacht im Zug, Lieder und Lachen und der zähe Kampf zwischen denen, die schlafen wollen und denen, die es nicht wollen. Gelegentlich sieht man einen auswandern, weil es ihm dort, wo er war, zu laut ist oder zu leise, je nachdem. Spätestens in Würzburg brennt in allen Abteilen das blaue Nachtlicht.

Aber die meisten können nicht schlafen. Sie reden von dem, was war und dass es schön war und dass es große Tage waren, die uns stärkten und bestärkten in unserem Glauben und in unserem Wollen.



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